Montag, 23. Oktober 2017

Wie Matthias Kehle und Răzvan Georgescu in eine rumänische Literaturzeitschrift kommen

Matthias Kehle ist ein im deutschen Literaturbetrieb gut vernetzter Schriftsteller. Er wurde 1967 in Karlsruhe geboren und studierte an der Universität Heidelberg Germanistik und Soziologie. Bei Wikipedia sind 18 Werke von ihm (Autor & Mitautor) gelistet. Das letzte ist ein zweisprachiger Gedichtband Fundus / Stoc. Den Originals sind in dieser Publikation die rumänischen Übersetzungen gegenübergestellt. Der Herausgeber, Schriftsteller und Übersetzer Traian Pop Traian zeichnet für die rumänische Version von  Kehles Gedichten. Das Vorwort des 86 Seiten starken Büchleins (ISBN: 978-3-86356-149-9, 14,00 €) wurde von Cătălin Dorian Florescu verfasst.

Die Septemberausgabe der Temeswarer Literaturzeitschrift ORIZONT kündigt für den Herbst das Erscheinen „einer Anthologie“ mit Gedichten von Matthias Kehle an, von denen einige in der rumänischen Variante auf der gleichen Seite (23) den Lesern präsentiert werden. Ich nehme an, dass die rumänischen Redakteure von ORIZONT mit der angekündigten Anthologie den im POP-Verlag erschienenen Gedichtband Fundus / Stoc meinen, der schon auf dem Markt ist.

Das allein erklärt noch nicht, warum ORIZONT von dieser Neuerscheinung (wenn auch leicht irritierend – es sei denn, es erblüht wirklich auch noch eine Blumenlese in diesem Herbst mit Gedichten von Kehle) berichtet. Näher kommen wir einer Erklärung aber schon, wenn wir berücksichtigen, dass Traian Pop Traian ein gebürtiger Kronstädter (Brașov) mit Studienzeit in Temeswar ist und Cătălin Dorian Florescu in Temeswar (Timișoara) geboren wurde. Dazu sollte man sagen, dass Traian Pop Traian im Jahre 2002 den Preis des Rumänischen Schriftstellerverbandes der Filiale Temeswar, die auch ORIZONT herausbringt, erhielt. Und Florescus schriftstellerischer Werdegang im deutschsprachigen Raum wird seit Jahren wohlwollend in Rumänien und besonders in Temeswar verfolgt. Dass Pop sich seit vielen Jahren als Verleger bemüht, rumänische Literatur deutschen Lesern schmackhaft zu machen, ist keine Neuigkeit. Umso erfreulicher ist es, jetzt feststellen zu können, dass man auch versucht, den umgekehrten Weg zu gehen – also vom Deutschen ins Rumänische. Die Netzwerke in die alte Heimat scheinen noch intakt zu sein. Und das ist gut so, sonst wäre der Name Matthias Kehle nie und nimmer in einer rumänischen Literaturzeitschrift anzutreffen.

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Die im Zweiwochenrhythmus in München erscheinende Wochenzeitung BANATER POST hat am 20. August einen Nachruf von Halrun Reinholz „zum Tode des Filmregisseurs Răzvan Georgescu“, der „nur 51 Jahre alt geworden“ ist, veröffentlicht. Er lebte als Lenau-Schüler und danach als Erwachsener ein „Dasein als (rumänische) Minderheit in der (rumäniendeutschen) Minderheit“.

Die Leser der BANATER POST konnten dann in der Doppelnummer vom 15. September das Redemanuskript eines Vortrages lesen, den Răzvan Georgescu beim Lenau-Schultreffen 2011 in Neusäß gehalten hat. Der Text trägt in der Zeitung die Überschrift Ein Escu unter Deutschen – ewig Fremder oder überall zuhause? So und nicht anders wird man vom Kind rumänischer Eltern zum deutschen Intellektuellen. Ich könnte mir vorstellen, nicht der Einzige zu sein, der diesen Essay zweimal gelesen hat. Sprachwitz gepaart mit einer gut meinenden Beobachtungsgabe ermöglichen einen Lesegenuss, der stark mit dem Veröffentlichungsgrund dieses Textes kontrastiert. Dabei hat man nie den Eindruck, dass sein Autor sich, bei aller Sympathie für die deutsche Sprache und Kultur, von seiner nationalen Identität, also dem Rumänischen, entfernt.

Und wie dieses angeborene Rumänischsein sich im Alltag  Răzvan Georgescus manifestierte, kann man in der oben erwähnten Nummer der Literaturzeitschrift ORIZONT auf Seite 24 in einem berührenden Nachruf von Cătălin Dorian Florescu nachlesen. Dort erfährt der Leser schon im ersten Absatz, wie mächtig Sprache und insbesondere die Muttersprache auf offene Gemüter wirkt: „Ich habe Răzvan Georgescu vor mehr als 10 Jahren kennengelernt, in Amsterdam. Wir waren drei Freunde und Schulkollegen aus Temeswar und unterhielten uns, auf der Suche nach einem Restaurant, laut auf der Straße. Răzvan, der dort an einem Dokumentarfilmfestival teilnahm, hat uns gehört, überquerte die Straße und schloss sich uns an.“

So entstehen dauernde Bekanntschaften und sogar Freundschaften. Und wenn die Protagonisten dann auch in der gleichen Mehrsprachigkeit beheimatet sind, und das sogar noch im literarischen und kulturellen Spektrum, dann sind Nachwirkungen über den Tod hinaus keine Seltenheit. Răzvan Georgescu und Cătălin Dorian Florescu gehör(t)en zu diesen kreativen Wanderern zwischen den Sprachen.
Anton Potche

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