Sonntag, 31. Juli 2016

Juli 2016 – Giarmata in den Medien

Radfahren im Grünen
aus ZiarulTimişoara.ro, Timişoara / Temeswar; 11.07.2016
Der Verein Grün für das Fahrrad veranstaltet am 16. Juli schon die zweite Banater Fahrradtour. Die Strecke misst etwa 72 km und hat folgenden Verlauf: Muzeul Satului – Giarmata Vii – Giarmata – Ianova – Lac acumulare Ianova – Pădure Ianova – Herghelie Herneacova – Bencecu de Sus – Giarmata – Giarmata Vii – Muzeul Satului. Diese Veranstaltungsreihe gibt es in Temeswar seit 2009.

Claudiu Mihălceanu – neuer Vizebürgermeister
aus PrimăriaGiarmata.ro, Giarmata / Jahrmarkt; 15.07.2016
Auf der Homepage des Giarmataer Rathauses wird Claudiu Mihălceanu als neuer Vizebürgermeister angegeben. (Auf noch nicht aktualisierten Seiten wird noch Florin Farkaș auf diesem Posten geführt.) Mihălceanu gehört der neu gegründeten Partei PMP (Partidul Mișcarea Populare – Volksbewegungspartei), die vom ehemaligen Staatspräsidenten Traian Băsescu angeführt wird, an.
+ + +  Bürgermeister Virgil Bunescu (PSD) scheint mit einer komfortablen Mehrheit in Giarmata regieren zu können. Alles deutet auf eine Koalition im Gemeinderat zwischen PSD und PMP (neun Sitze) hin, der eine PNL-Oposition von sechs Gemeinderäten gegenübersteht. + + +

Ausschreibung mit unzumutbaren Konditionen
aus TimișPlus.ro, Timişoara / Temeswar; 18.07.2016
Asociaţia de Dezvoltare Intercomunitară Deşeuri (ADID) Timiş, die Müllverwertungsgesellschaft des Kreises Temesch, hat eine Ausschreibung für  Mülltransportfirmen veröffentlicht, um ein Unternehmen mit dem Mülltransport aus fünf Zonen des Kreises zu beauftragen. Jetzt hat die Firma RETIM Ecologic Service SA gegen das Verfahren geklagt. In der 45 Seiten umfassenden Klageschrift, wird auch Giarmata erwähnt. Hier sollte der Gewinner der Ausschreibung „große Investitionen in der vorgegebenen Zeit von vier Monaten tätigen, obwohl sein Vertrag für Mülleinsammlung und –transport erst ab Dezember 2020 laufen würde“. Jetzt müssen die Richter entscheiden, was naturgemäß lange dauern kann.

Dispoziția – Veröffentlichung Nr. 197
aus PrimăriaGiarmata.ro, Giarmata / Jahrmarkt; 18.07.2016
Für den 22. Juli 2016, 12:00 Uhr, wird der Gemeinderat zu einer „ordentlichen Sitzung“ einberufen. 18 Tagesordnungspunkte stehen zur Abarbeitung bereit. Gleich zu Beginn der Sitzung soll die „Organisation und Arbeitsweise“ des Gemeinderates diskutiert und verabschiedet werden. Danach geht es um die Übertragung einiger „mijloace fixe“ – das können verschiedene Eigentumsteile wie Gebäude, Birouausstattung oder Fahrzeuge sein – aus dem Besitz des Kommunalbetriebs SC Gospodărie Comunală SRL in Gemeindebesitz. Gleich mehrere Tagesordnungspunkte sind für den Eigentumsverzicht von mehreren Grundstücken der Größen 9925 m², 2650 m² und 683 m² zugunsten der Gemeinde vorgesehen. Der Eigentümer der zu Erschließungszwecken benötigten Flächen ist Herr Don Ioan jun. Eine vierte zur Verhandlung anstehende Fläche hat 990 m² und gehört Frau Don Claudia Paula. (Über den Preis der Flächen erfährt man aus dieser Einladung naturgemäß nichts.) Beim Tagesordnungspunkt 8 geht es um die Auflösung eines Kaufvertrages, der 2006 zwischen der Gemeinde Giarmata und Frau Rogojinaru Ioana für das Anwesen in der Strada Morii, Nr. 833 abgeschlossen worden war. Weitere Punkte der Tagesordnung beziehen sich auf die Arbeit im Rathaus, Infrastrukturmaßnahmen in Giarmata und Grundstückskorrekturen in Cerneteaz.

Vorbereitungen gestartet
aus SportTim.ro, Timişoara / Temeswar; 19.07.2016
C4 (Liga III – Serie IV)
CS Millenium Giarmata hat am 18. Juli auf dem heimischen Nicu-Moraru-Stadion mit den Vorbereitungen für die kommende Spielzeit in der dritten rumänischen Fußballliga begonnen. Nur zwei Spieler haben nach dem Ende ihrer Verträge die Mannschaft verlassen: Blănaru und Dumiter. Trainer Răzvan Leucă absolvierte die erste Trainingseinheit mit folgenden Spielern: Luca, Soare, Artimon, Mihălceanu, Domşa, Ciobănică, Petri, Corlăţeanu, Stoica, Maşniţă, Trifu und Nicoară sowie den neu verpflichteten George Păduraru (von Sebiş), Ovidiu Ştefănescu (Becicherecu Mic), Dorin Codrea (ASU Politehnica), Mădălin Semenea (ACS Poli) und der 16-jährige Cristi Mandachi (Săcălaz). Zum Kader gehören noch die Brüder Florin und Mihai Olariu, Diarra und Gaiţă.
+ + + Schön fleißig trainieren! + + +

Erweiterung des Autobahnzubringers über Giarmata ins Gespräch gebracht
aus ZiuadeVest.ro, Timişoara / Temeswar; 22.07.2016
Der neue Vorsitzende des Kreisrates Timiș / Temesch Sorin Grindeanu hat einen Ausbau des Autobahnzubringers Temeswar – A1 über Giarmata angeregt. Die vorhandenen zwei Spuren sollen auf vier erweitert werden. Man könnte diese Baumaßnahme mit EU-Geldern finanzieren.
+ + + Für das neue Wohnviertel in Giarmata zwischen Neue Gasse und Landstraße würde das eine zunehmende Lärmbelästigung bedeuten.  + + +

Eine trügerische Ruhe in der Lokalpolitik
aus RenaștereaBănățeană.ro, Timişoara / Temeswar; 31.07.2016
Bürgermeister Virgil Bunescu (PSD) hat zwar eine Mehrheit im Gemeinderat, aber keine absolute. Nach der Stabilität der jetzigen Koalition PSD – PMP befragt, ist er sich sicher, dass die „bis zur Parlamentswahl“ hält. Wenn im Herbst die Partei des ehemaligen Präsidenten Traian Băsescu so stark wird, dass sie mit den Sozialdemokraten oder den Nationalliberalen in Bukarest in Regierungsverantwortung kommt, könnte das auch auf die Politik im Giarmataer Rathaus Auswirkungen haben. Bleibt die PSD an der Macht, wird sich auch in Giarmata nichts ändern, siegt aber die PNL, „dann weiß man nicht“, schreibt das Blatt.
+ + +  Die Opposition im Giarmataer Gemeinderat besteht ausschließlich aus PNL-Mitgliedern um den ehemaligen Bürgermeister Ioan Delvai. Und dass es in der rumänischen Politik schon immer eine starke Ausstrahlung von oben nach unten gab – um es vorsichtig auszudrücken –, ist ja nicht neu. + + +

„Die Zufriedenheit kann nur von den Bürgern kommen,
aus FOAIA de GIARMATA, Timişoara / Temeswar; Juli 2016
und ich habe und werde alles für die Lebensbedingungen der Menschen tun.“ Mit diesen Worten wird Virgil Bunescu nach seiner Wiederwahl zum Bürgermeister der Gemeinde Giarmata zitiert.  
Aquilina Birăescu
Fotoquelle; USR  - Timișoara
- Die Schriftstellerin Aquilina Birăescu gehört zu den Kulturpersönlichkeiten von Giarmata. Sie wurde 1948 in Cerneteaz geboren, war Bibliografin an der Kreisbibliothek und Mitarbeiterin mehrerer Literaturzeitschriften. Ihr reiches Œvre beinhaltet Lyrik- und Prosabände wie auch Bücher mit Essays und Literaturkritik.
- In einem ausführlichen Artikel werden alle Urkunden aufgezählt, die Angehörige und Betroffene bei Geburt, Eheschließung und Todesfall vorlegen müssen, um den gesetzlichen Vorschriften zu genügen.
- Cristian Spoeală aus Giarmata ist 19 Jahre alt und Volksmusiksänger. Beim kürzlich in Brestovăț ausgetragenen Volksmusikwettbewerb hat er bei „sehr starker Konkurrenz“ aus den Kreisen Timiş, Arad, Caraş Severin, Teleorman, Sibiu, Mureş und Sălaj den 2. Preis gewonnen. Jetzt hat er sich vorgenommen „das Singen ernst anzugehen und im ganzen Land zu konkurrieren“.
+ + + Vill Glick!! Mer ware zu unsrer Zeit aah immer vun de Beste in der Blechmusik. Des is jetz awwer doch schun e Weilche her. + + +

Freitag, 29. Juli 2016

Seppi und Peppi unterhalten sich über die Abschiedsfeier für Genosko

Es ist schön kühl im Bahnhofscafé an diesem heißen Sommertag.

- Du siehst müde aus.
- War ja auch ein langer Abend.
- Warst du aus?
- Ja, aber zu Hause.
- Wie soll ich das verstehen.
- Ich war im Stadtrat.
- Zu Hause?
- Klar. Im Livestream.
- Und so lange, dass man es dir heute noch ansieht?
- Klar. Von 15:00 bis 22:17 Uhr ist ’ne schöne Zeit. Und der OB hat mich sogar begrüßt.
- Wie bitte?
- Klar. Um 21.45 Uhr und in der 74. Minute des Fußballspiels Hertha BSC gegen Bröndby IF hat er, der OB der freien Kreisstadt und jüngsten Großstadt Bayerns und der am schnellsten wachsenden Stadt Deutschlands …
- Ja, ja, ist ja gut. Was hat der gesagt oder gemacht, der Lösel?
- Er hat mich gegrüßt?
- Sag mal, warst du heute schon lange in der Sonne? Mit deiner Glatze, meine ich.
- Das glaubst du nicht, was? Er hat gesagt, es sind zu dieser vorgerückten Stunde noch „29 Zuhörer draußen an den Computern“ und dass er die „alle schön grüßt“.
- Und Fußball hast du auch dabei geguckt?
- Klar. Auf Sport 1. Ohne Ton. Die Kommentare sind eh meistens schrecklich.
- Greisliger als die Diskussionen im Stadtrat?
- Klar. Im Stadtrat war es lustig. Es hat sogar zweimal Schnaps gegeben.  
- Im Stadtrat ...
- Ja, einmal für den Frank – so glaube ich heißt der Mann – und einmal für den Genosko. Der Frank ist ein Stadtminister – Referenten heißen die, wenn mich nicht alles trügt – und der Genosko Fraktionschef der CSU. Und der will nicht mehr Chef sein. Darum haben ihn alle gefeiert. Auch mit einer Flasche Schnaps.
- Und haben die in der Sitzung getrunken?
- Weiß ich nicht. Der Livestream ist ja nur Radio, nicht Fernsehen. Aber der OB hat zum Schluss gesagt, und das war genau 17 Minuten nach 10: „Damit sind wir am Ende der öffentlichen Sitzung und treten die nichtöffentliche an.“ Ich denk mal, da haben die den Schnaps verdrückt.
- Ich denke, wir sollten uns jetzt auch einen bestellen.
- Oh ja, das wär’ nicht verkehrt.
- Bedienung, zwei Schnäpse bitte!

Welch ein herrlich tiefbewölkter Sommertag!

Montag, 18. Juli 2016

Verloss

Gedicht im Johrmarker Dialekt

Do steht jetz des Haus,
gottselich verloss.
All sin se drauß,
forr immer fort.

Generatione hun gebaut
un gewertschaft.
Uf mol war’s aus,
im Nu alles abgschafft.

De Hausschlissel leit
im Gemeindehaus dort
un wart uf die Leit
aus’me Moldaudorf.

Em Waldi sei Jaule
steit in de Mond.
Der arm Hund
hot vun seim Herr getroomt.

Berns Toni

[Johrmark,  1982]

Worterklärung: Moldau = Region im Osten Rumäniens
aus’me = aus einem


Mittwoch, 13. Juli 2016

Heiteres, Besinnliches, Fiktives und Reales aus Ostpreußen von anno dazumal

Ruth Maria Wagner (Hg.): Erzählungen aus Ostpreußen – heiteres und Besinnliches; Edition Erdmann im K. Thienemanns Verlag, Stuttgart, 1987; ISBN 3-7711-0254-5; (Verkaufsexemplare bei zvab.com)

Wem sagen heute Namen von Ortschaften wie Hermenau, Royen, Sportlehnen, Liebstadt oder von Landstrichen wie Samland und Sassau sowie Flüssen wie Sziesze noch etwas? Sie heißen jetzt Niebrzydowo, Roje, Milakowo und tragen andere für die deutsche Zunge schwer zu formende Namen. Die in diesem Band veröffentlichten Erzählungen spiegeln alle eine sowohl zeitlich als auch geografisch weit entfernte und vor einem guten Vierteljahrhundert noch schwer erreichbare Welt im Osten Europas wider. Diese Welt mit ihren deutschen Prägungen ging schon 1945 für immer unter. Sie existiert heute nur noch in Bildern und Schriften.

Der Band Erzählungen aus Ostpreußen mit dem Untertitel Heiteres und Besinnliches enthält 34 Texte von 33 Autoren. Sie sind von einem Vor- und Nachwort eingerahmt. Hans Helmut Kirst (1914 – 1989) überschreibt sein Vorwort mit dem Titel Erbarmung – sie dichten schon wieder! Das ist ein klarer Hinweis auf ein reges literarisches Schaffen in der Zeit, als Ostpreußen noch von Deutschen bewohnt war. Dieser Menschenschlag war eher wortkarg als wortgewaltig. „Aber nicht wenige dieser Schweigenden schrieben auf, was sie bewegte.“ Also haben wir es hier nicht mit einer Auslese nach strengen literarischen Maßstäben, die natürlich auch nur subjektiv sein könnten, zu tun, sondern mit einer breitgefächerten Blumenlese ostpreußischen Schrifttums vor der Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg. Und er war auch nicht unbedingt literaturbegeistert, dieser deutsche Menschenschlag im fernen Osten Europas. Das war schon in den Zeiten von H. H. Kirsts Großvater so: „Am 75. Geburtstag meines geliebten Großvaters verlas er ein Gedicht von fünfundsiebzig Versen – zum Entsetzen seiner trinkfrohen und dabei zu verdursten drohenden Brüder.“

Aber das waren ja längst nicht alle Ostpreußen. Die waren verschieden wie die Menschen überall auf der Welt. „Patrullas“ Lachen zum Beispiel blieb für Grete Fischer (1922 – 2013) unvergesslich und floss durch ihre Feder in eine kurze Erzählung.

Weil dieses Lesebuch nicht als rein literarische Anthologie konzipiert ist, kommen auch andere Schöngeister zu Wort. Der große Maler Lovis Corinth (1858 – 1925) erzählt augenzwinkernd von seiner Geburt an Toon Koornaust, also am Tag der Roggenernte.

Wie gefährlich Männer im Moor leben, schildert Ottfried Graf Finckenstein (1901 – 1987). Dass man dabei schon mal eins über die eigene Rübe bekommen kann, erzählt der Prof. für Germanistik mit leicht spöttischem – natürlich nicht bös gemeintem -  Unterton.

Pferde wurden auch in Ostpreußen gestohlen. Wie Onkel Fischer auf dem Pferdemarkt zu Wehlau wieder zu seinem Braunen kam, erfahren wir von Katharina Botsky (1879 – 1945). Die Schriftstellerin war Mitarbeiterin der berühmten Zeitschrift SIMPLICISSIMUS und ist auf der Flucht vor der Roten Armee gestorben.

Dass man mit seinem feinen Spott am besten in Schilderungen von Dorfverhältnissen auftrumpfen kann, beweist Hans Helmut Kirst in der Erzählung Das Leben – ein Fest. Einer seiner Protagonisten, Pokorny, wirkte „wie eingebettet in füllige Fleischlichkeit, mit blanken Augen und gern gefalteten Händen. Seine nicht minder stattliche Frau stand in dem erstaunlichen Verdacht, Klavier spielen zu können.“

Der Gang nach Ragnit hat sich für Hanneken und ihre Mutter ausgezahlt. Der verlorene Vater ist wieder da. Man freut sich auch als Leser, wenn eine solche Geschichte gut ausgeht – dank Johanna Wolf (1851 – 1943).

Frida Jungs (1865 – 1929) Dickkoppsche Nadeln erinnert mich doch sehr an mein kindliches Warten auf die Oma, die immer etwas vom „Fratscheln“ aus Temeswar mitbrachte. Wenn Friedels Mutter einmal im Vierteljahr nach Gumbinnen fuhr, sah man das dem Mädchen in der Schule an. Und es gestand gerne: „Na, sull eck nich lache – ons’ Mutterke es enne Stadt gefoahre!“

Fremde gab es auch in Ostpreußen. Paul Brock (1900 – 1986) zeichnet in der Erzählung Das Fest des Fremden das Porträt eines Ruhelosen. Der verschwand nach dem Fest genauso unauffällig, wie er eines Tages im Dorf aufgetaucht war. Und als er nach langer Zeit ein Bild schickte, sah Lena, bei der er wohnte, „einen Mann in buntem Schellengewand, der sich vor einem unsichtbaren Publikum verneigte. Sein Gesichtsausdruck war schwer zu deuten; er wirkte traurig und lustig zugleich.“

Auch von Begegnungen mit Schlangen wird berichtet. Damals – früh im Sommer war’s, als Curt Elwenspoek (1884 – 1959) sich auf Schlangenjagd begab. Dieses Abenteuer hat in einer autobiografischen Skizze die Zeit überlebt.

Eine für heutige Verhältnisse wundersam anmutende Gesellschaft müssen Die Bauern von Boskollen gewesen sein. Ihre Geschichte trug sich „im Jahre des Heils 1692“ zu und ist meisterhaft erzählt von Gertrud Papendick (1890 – 1982).

Michael Rehs (*1927), ehemaliger Generalsekretär  des Instituts für Auslandsbeziehungen Stuttgart, hat Ein Weihnachtsmärchen für Erwachsene geschrieben. Eine traurige Geschichte vom Tod des „kleinen Rostin“.

Was Dünensand bewirken kann, beschreibt Hansgeorg Buchholz (1899 – 1979). So enden sich in Künstlerkreisen, hier bei Dreharbeiten für einen Film, anbahnende Liebschaften wahrscheinlich öfter: „Eine Romanze – flüchtig wie der Sand? Ein Gedicht vielleicht! Eine Drehbuchidee?“

Schneeweiße Straßen im Sommer? Und das im ostpreußischen Eichenort? Das geht. Wie, erzählt Kl. Klootboom-Klootweitschen (1890 – 1963) in Die Schlittenfahrt im Juli.

Ebenso abenteuerlich liest sich eine Phantastische Mondscheinfahrt. Charlotte Keyser (1890 – 1966) hat sie niedergeschrieben. Wie sagte man doch bei uns in Jahrmarkt, wenn die Pferde nicht mehr weiterwollten? Ach ja, „sie stutze“.

Der Schmandschmecker, eigentlich der Milchprüfer, wurde von Onkel Ferdinand schlecht gelitten. Umso größere Stücke hielt Tante Luise von ihm. Immerhin hat er Onkel Ferdinand dazu gebracht, von seiner Kunst des Orchesterdirigierens während einem feuchtfröhlichen Aufenthalt in einem Königsberger Café zu erzählen. Dabei lässt Heinz Panka (*1915) seine Helden auch philosophieren. Köstlich!

Erinnerungen halten sich oft an Gegenständen fest. Der Stock des Figus ist so ein Gegenstand, der den Großvater zum Erzählen bringt: „Siehst ja bald jeden Tag im Fernsehen, wie Menschen vertrieben werden. Und immer werden welche die silbernen Löffel vergessen und den alten Hut mitnehmen oder ein altes Spiel Karten".“ Hedy Gross (*1916) erzählt einfühlsam, warum ein Stock ein alter Hut sein kann.

Unter Hirten begab sich Eva Schwimmer (1901 – 1986), um diesen Essay zu schreiben. Ein Loblied auf die Abgeschiedenheit, die Ferne von der „Wirrnis der Großstadt“. Und wie wahr: „Die Rufe der Hirten sind wichtig in der Welt.“

Da sind schon sehr bekannte Namen in dieser Anthologie zu finden: Johannes Bobrowski (1917 – 1965) zum Beispiel, Preisträger der Gruppe 47. Der Posthalter, eine hervorragend karikierte Figur des ostpreußischen Staatsdieners, ist Kurzprosa vom Feinsten, inhaltlich wie sprachlich.

Die Fahrt zur Jugendliebe kann schon mal in einer großen Enttäuschung enden. Vielleicht macht man es besser wie Marie Martha Lacombe-Brückner (*1913) – oder ihre Ich-Erzählerin: „Ich nahm mir vor, immer nur ein bisschen liebzuhaben, damit ich mir eine Rose hinter das Ohr stecken und davonfahren konnte, während dem anderen das Herz blutete und er sich die Tränen verbiß.“ Ganz schön fies, würde ich sagen.

Siegfried Lenz (1926 – 2014), der große Erzähler der deutschen Literatur, auch er war ein Ostpreuße. Und auch er hat Eine Liebesgeschichte geschrieben. „O Wunder der Liebe, insbesondere der masurischen; das Mädchen, das träumende, rosige, hob seinen Kopf, zeigte der alten Gusche den Taufschein und sprach: >Es ist<, sprach es, >besiegelt und beschlossen. Was für ein schöner Taufschein. Ich werde heiraten.< Die alte Guschke, sie war zuerst wie vor den Kopf getreten, aber dann lachte sie und sprach: >Nein, nein<, sprach sie, >was die Wäsch’ alles mit sich bringt. Beim Einweichen haben wir noch nichts gewusst. Und beim Plätten ist es schon soweit.<“ Urwüchsig. Volksnah. Voller liebenswerten Humors.  Weltliteratur – köstlich diese Anapher „sprach“ - aus dem Band So zärtlich war Suleyken.

Michael Rehs ist mit einer zweiten Erzählung, Die drei Brüder, in diesem Sammelband vertreten. Das ist keine schöne Geschichte. Hass und Gier: Hassgier.

Gut, dass schon die folgende Erzählung aus dem Universum des Jägerlateins stammt. War Rubbeljack ein Versager? Er war auf jeden Fall ein „stämmiger, frecher Rauhhaardackel“, lässt uns Heinke Frevert (1916 – 1997), Gattin von Walter Frevert (1897 – 1962), letzter deutscher Oberforstmeister der Rominer Heide und erfolgreicher Jagdschriftsteller, wissen.

Marthas Heimkehr im Herbst legt in Herbert alte, eigentlich nie geäußerte Gefühle frei. Und das obwohl Martha nicht allein gekommen war. Sie hatte ein Kind dabei, „das sie auf dem Arm trug“. Die freie Schriftstellerin und Journalistin Ruth Geede (*1916) tut uns aber nicht den Gefallen, diese Erzählung mit einem endgültigen Schluss, traurig oder erfreulich, ausklingen zu lassen.

Hermann Sudermann (1857 – 1928) schreibt in der autobiografischen Skizze Das singende Eis in einem poetischen Duktus über die Wahrnehmung der Natur in seiner „armen litauischen Heimat“. So schön kann Schlittschuhlaufen sein: „Das Eis erklang, die Risse donnerten, und so flog man hinein in die Lichtwelt. Bis sie anfing, sich purpurn zu färben, bis das Blau sich zu Rosa verklärte und der blasse Märzenmond plötzlich am Himmel stand.“

Vorweihnacht im alten Königsberg kann für Außenstehende ganz schön unverständlich sein – damals, als dort noch Ostpreußen lebten, wie heute. Was hat die „dicke Handelsfrau“ nun wirklich gesagt, als sie Vater und Sohn beim Heimtragen eines ziemlich missratenen Weihnachtsbaumes begegnete? „Herrkes, mött de Spötz noa hinde, denn dräggt söck dat lang Rachachel bäter!“ Walter Scheffler (1880 – 1964), der in Königsberg geborene Buchbinder und Schriftsteller, hat sich schon zu Lebzeiten die Leseversuche nichtpreußischer Leser ersparen können (müssen), denn er war leider schon als Junge völlig taub.

Ostpreußen und die Ostsee sind unzertrennlich. Das spürt man in dieser Blumenlese. Wo könnte dieses auch mythologische Verhältnis besser zum Tragen kommen als in der Literatur? Die Dünenhexe ist so ein Beispiel von Traum- und Traumatawelten inspirierter Erzählkunst. Es ist keine schöne Erzählung, die uns Tamara Ehlert (1921 – 2008) da auftischt, aber sie hinterlässt einen Eindruck von der ebenso poetischen wie rauen Lebensweise, die in der Welt der Dünen herrscht.

Elli Kobbert-Klumbies (*1922) lässt eine nette Liebesgeschichte, Das Sekundchen, in einen philosophischen Schluss münden: „Er wusste nun gut um den himmelweiten Unterschied zwischen unbekömmlichen Sekundchen, die sich nur rächen, und den großen Stunden, die Segen bringen. Denn während die Sekundchen gestohlen sind, werden einem die großen Stunden immer nur unverdient geschenkt.“ Für Gustav war der Weg von der Sekunde zur Stunde ziemlich steinig.

Wie überall auf der Welt war auch im Ostpreußen der Vorkriegszeit der Familienmikrokosmos ein Spiegelbild der dortigen Gesellschaft. Ein „dammlicher Pomuchelskopp“ ist nicht mehr als ein Tollpatsch auf Brautschau. Georg Hermanowski (1918 – 1993) schildert, wie der sich auf Freiersfüßen der nicht gerade begeisterten zukünftigen Schwiegermutter vorstellt. Der Arme! Wir kennen ihn übrigens auch aus der Banater Mundartliteratur. Also von wegen Spiegelbild: nur ein kleiner Fleck, nicht unbedingt schwarz, nur ein wenig angebräunt – welcher Spiegel bekommt den nicht mit der Zeit?

Die Marjell mit dem Medizinball und Hans begegnen sich zweimal. Hans-Ulrich Stamm (*1924) erzählt diese Lebensgeschichte aus der Kriegszeit. Persönliche Glücksmomente können Menschen auch im Krieg beschert werden. Einige mögen solche Erzählungen als kitschige Liebesprosa in Heftromanstil abtun. Unglaubwürdigkeit kann man ihr aber nicht nachsagen, und das nicht nur wegen dem fiktionalen Charakter von Literatur, sondern weil das Leben ja selber immer die schönsten und brutalsten Geschichten schreibt.

Agnes Miegel (1879 – 1964) gehört zu den großen Schriftstellerinnen der deutschen Literatur. Sie war Dr. h. c. der Königsberger Albertus-Universität und hat 1916 den Kleist-Preis erhalten, zu dem sich noch einige namhafte Preise gesellten. Bei einem Nachtspaziergang lässt sie einen von der Wahrhaftigkeit seiner Träume überzeugten Magister von sonderbaren Begegnungen erzählen.

Der Name Käthe Kollwitz (1867 – 1945) ist an Kultur interessierten Menschen nicht minder bekannt. Die Graphikerin, Malerin und Bildhauerin war Mitglied der Akademie der Künste. Der autobiografische Text Mein Kinderparadies entstammt ihrem Buch Aus meinem Leben und endet mit dem Fazit: „Im Grunde fühlte ich immer heimatliche Liebe, Verbundenheit und Dankbarkeit. >Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt.<“

Die Magd ist eine Herbergsgeschichte, aber nicht irgendeine, sondern eine sprachlich und dramaturgisch höchst anspruchsvolle. Kein Wunder, wenn man den Autor kennt: Ernst Wiechert (1887 – 1950). Biografen erwähnen gerne seine Aussage, dass er nicht aus einer literarischen Schule, sondern aus einer „großen Landschaft“ komme. Geboren wurde er in einem Forsthaus im sagenumwobenen Masuren und gestorben ist er auf dem Rütihof in der Schweiz. Dazwischen liegt ein bewegtes Leben, zu dem auch das Überleben im KZ Buchenwald gehört.

Und dann folgt der Name, der wohl noch vielen Deutschen – nicht nur Literaturinteressierten - ein Begriff sein dürfte: Marion Gräfin Dönhoff (1909 – 2002). Die preisgekrönte Publizistin hat besonders als Chefredakteurin der Wochenzeitung DIE ZEIT Maßstäbe in der deutschen Presselandschaft gesetzt. Ihr autobiografisches Buch Namen, die keiner mehr nennt enthält auch den in dieser Anthologie veröffentlichten Text Nach Osten fuhr keiner mehr. Die Gräfin schildert hier ihre abenteuerliche Flucht vor der Roten Armee – zu Pferde (auf Alarich), 1200 km westwärts, und das in sieben Wochen.

Letzter im Bunde der in diesem Band versammelten ostpreußischen Schriftsteller und Künstler ist Hans Graf von Lehndorff (1910 – 1987). Er und Marion Gräfin Dönhoff hatten den Widerstandskämpfer im Dritten Reich Heinrich Graf von Lehndorff-Steinort (1909 1944) zum gemeinsamen Vetter. Hans Graf von Lehndorff war von Beruf Arzt und gelangte erst 1947 als Vertriebener in den Westen. Sein Ostpreußisches Tagebuch . Aufzeichnungen eines Arztes aus den Jahren 1945 – 1947 hat seit seinem Erscheinen im Jahre 1961 einunddreißig (31) Auflagen erlebt. Der hier veröffentlichte Text Auf der Flucht entstammt diesem Tagebuch, das auch verfilmt wurde.

Ruth Maria Wagner (1915 – 1979), die diese von Erich Behrendt (1899 – 1983), ein in Ostpreußen geborener Maler und Grafiker, illustrierten Erzählungen aus Ostpreußen herausgebracht hat, stellt dem Vorwort mit dem Titel Erbarmung – sie dichten schon wieder! ein Nachwort mit der Überschrift Wenn sie nicht gedichtet hätten – Erbarmung! gegenüber. Wahrlich, wir Nachgeborenen wären ärmer ohne dieses und andere Bücher mit heiteren und besinnlichen, fiktiven und realen Geschichten aus Ostpreußen von anno dazumal.

Anton Potche

Mittwoch, 6. Juli 2016

Ein Konzert am Sonntag nach dem Brexit

Foto: Anton Potche
Henry Eccles ist ein unbekanntes Wesen, wahrscheinlich genauso unbekannt wie die Masse der Brexit-Befürworter. Auch er war Engländer, lebte zwischen 1675 (oder 1685)  und 1735 (oder 1745) und … Das war’s dann auch schon. Man vermutet, dass er der Bruder des Komponisten John Eccles (1668 – 1735) war. Eine Gewissheit scheinen Biografen dann aber doch noch in seiner Vita gefunden zu haben. Er reiste nämlich 1713 nach Paris und lebte als Violinist am Hofe Ludwigs XV. Zum Unterschied zu seinen europaabstinenten Landsleuten des Jahres 2016, deren Verunsicherung nach ihrem EU-Austritts-Votum förmlich in der Luft liegt, wusste Henry Eccles anscheinend genau, was er wollte: Musik wollte er machen, in einer Tonsprache komponieren und musizieren, die sowohl in England als auch auf dem Kontinent Anklang finden kann. 25 Werke von ihm sind bis heute erhalten geblieben. Eins von ihnen, Sonate g-Moll für Violoncello und Basso continuo, eingerahmt von Johann Sebastian Bachs (1685 – 1750) Pièce d’orgue BWV 572 und Georg Philipp Telemanns (1681 - 1767) Sonate a-Moll für Oboe und Basso continuo stand auf dem Programm der OrgelMatinee um Zwölf in der Ingolstädter Asamkirche Maria de Victoria. Ob Bach und Telemann jemals von Eccles gehört hatten, ist nicht bekannt. Sicher aber ist nach diesem Konzert am ersten Sonntag nach dem Brexit, dass die drei Herren eine allgemein verständliche und ins Gemüt gehende Tonsprache beherrschten, die auch heute noch berührt - vorausgesetzt, sie wird von den richtigen Leuten gesprochen.

Und das war am 26. Juni 2016 um die sonntägliche Mittagsstunde der Fall. Drei Menschen, aus drei Nationen unterhielten sich in der Tonsprache Bachs, Eccles und Telemanns. Und zwar so, dass alle Konzertbesucher sie verstanden. Evi Weichenrieder an der Orgel und dem Cembalo, Andrea Riemer am Violoncello und George Kobulashvili mit der Oboe erzählten auf ihren Instrumenten aus einer Welt, von der uns nicht viel mehr als Archivalien, Bauten und eben die Musik erhalten geblieben sind. Evi Weichenrieder ist Deutsche, Andrea Riemer eine in Ingolstadt beheimatete Engländerin und George Kobulashvili ein ebenfalls im Raum Ingolstadt lebender Georgier. Und ihre Musik ist deutsch, englisch, französisch … europäisch. So mancher der Zuhörer in der vollen Kirche wird vielleicht besonders in den getragenen Teilen der gespielten Stücke auch einen Gedanken an die segensreiche Ruhe, den Frieden, der uns seit vielen Jahrzehnten in Europa beschert ist, verwendet haben. Er ist einzig und allein der politischen Gemeinschaft (trotz aller Unterschiede) auf diesem Kontinent zu verdanken.

Foto: Anton Potche
Das war in dem Konzert in der Asam-Kirche wirklich sichtbar, spürbar, hörbar. Und zwar besonders zum Schluss, als der Applaus nicht abebben wollte und die Künstler zu einer Zugabe bewegte, was eigentlich in dieser Konzertreihe nicht üblich ist. Evi Weichenrieder kündigte sie mit der Bemerkung an, man spiele sie für die Schwester Andrea Riemers, die „für dieses Konzert trotz Brexit aus England angereist“ sei. Der aufbrausende Beifall schon während der Worte Evi Weichenrieders sprach Bände.

Vielleicht wäre es nicht verkehrt, wenn auch Boris Johnson, Nigel Farage, Michael Gove und Konsorten – nicht nur die von der Insel - öfter mal in ein Konzert gehen würden. Damit sie sehen und hören, was dabei herauskommt, wenn Menschen aufeinander hören, sich selbst zurücknehmen, dem anderen den Vortritt gewähren, um dann freudig in Ton und Gestik zu jubilieren, wenn man einen Solopart im Interesse der Gemeinschaft interpretieren kann, und zwar so, dass alles Vorangegangene und Nachfolgende zu einem Werk verschmilzt.
Anton Potche

Freitag, 1. Juli 2016

entweder oder

pamphlepigramm


nach dem brexit  rufen
und auf den verbleib hoffen
lässt auch einen hellschopf
im trüben stochern

ingolstadt, 2016
anton potche