Montag, 14. November 2016

ORIZONT - Kurze Blicke über den Horizont – II

Wer will es mir verdenken, dass ich von meinem Thema abgekommen bin? Diese Abschweifung war ich meinem Zeichenlehrer Petru Umanschi schuldig. Schon wegen unserer gemeinsamen großen Liebe: der Musik.

Aber nun zurück zu den Anknüpfungen an die deutsche Kultur und besonders Literatur in der rumänischen Literaturzeitschrift ORIZONT. Immer wieder begegnet man in den Spalten dieser Publikation deutschen Literaten, Philosophen, Geisteswissenschaftlern, Musikern, Künstlern, Politikern: Thomas Mann, Franz Kafka, Heinrich Heine, Arthur und Albert Schott, Ingrid Bachmann, Karl Marx, Papst Benedict XVI., Ludwig van Beethoven, Wolfgang Amadeus Mozart, Franz Schubert, Sigmund Freud, Friedrich Nietzsche, Hannah Arendt und vielen, vielen anderen. 

Und die deutschen zeitgenössischen Schriftsteller oder deutsch schreibenden Rumänen, die Rumänien verlassen haben und in Deutschland, Österreich, Italien, England, der Schweiz oder anderswo leben, sind so präsent, als wären sie nie aus Rumänien ausgewandert. Ihre Bücher werden vorgestellt und teilweise auch ausführlich besprochen. Man begegnet immer wieder Namen wie Richard Wagner, Gerhard Csejka, Hans Dama, Paul Celan, Dieter Schlesak, Ilse Hehn, Helmut Britz, um nur einige stellvertretend für viele zu nennen. Aber auch die deutschen Autoren, die in Rumänien geblieben sind, werden bei ORIZONT nicht vergessen: Eginald Schlattner etwa oder Annemarie Podlypni-Hehn, Balthasar Waitz und Erika Scharf (1929 – 2008). Literatur hat auch immer ihre Geschichte und Geschichten. Dem trägt man in ORIZONT wie selbstverständlich Rechnung. Dabei denkt man natürlich an die Lektüre der erbaulichen Securitate-Akten und schreibt darüber. Die siebenbürger Schriftsteller der 1950er Jahre und der ihnen aufgehalste Prozess wurde auch in dieser Zeitschrift thematisiert.

Man liest immer wieder Glossen, Artikel aber auch längere Essays, die in Deutschland verfasst wurden. Adriana Cârcu lebt (oder lebte) zum Beispiel in Düsseldorf und kein Weg scheint ihr zu weit zu sein, um der rumänischen Kunst und Literatur zu dienen. Im Jahre 2007 reiste sie zum Beispiel bis Singapur, um den Maler Valeriu Sepi zu interviewen. (Der war übrigens auch Mitglied der Gruppe Phoenix.) Um weitere 14 künstlerisch tätige Personen mit biografischem Bezug zu Temeswar treffen zu können, fuhr sie durch Deutschland, Holland, Spanien, die Schweiz, Frankreich und Ungarn. Ein sehr schöner, emotionsgeladener Essay zum Nobelpreis für Herta Müller stammt auch aus ihrer Feder. Sie hat ihn am 28. Oktober 2009 in Heidelberg verfasst und ihm den Titel Zăpada din Banat (Der Schnee aus dem Banat) gegeben. Erschienen ist er im November 2009 in ORIZONT.   

Deutschen Kulturschaffenden, die das Land verlassen haben, werden manchmal auch mehrere Seiten gewidmet. So führte Alina Mazilu im September 2008 ein zweieinhalb Seiten umfassendes Interview mit Nicky Wolcz. Er erzählt von seinem Leben auf Koffern, also von der faszinierenden Welt des Theaters. Im September 2012 zierte er dann mit einem alten Wecker in der Hand die Titelseite von ORIZONT. Überschrift: Wolcz in den Niederungen. Das Heft enthält zwei Seiten hochinteressante Theaterwelt. Einen Monat später wird die Inszenierung des Stückes Die Niederungen nach einer Erzählung von Herta Müller besprochen. Dramatisiert wurde der Stoff von Niky Wolcz, Ulla Wolcz und Valerie Seufert. Die Aufführung fand am DEUTSCHEN STAATSTHEATER TEMESWAR statt.

Im ausklingenden Jahr 2009 stand Herta Müller im Fokus der literarischen Öffentlichkeit. Ihr Konterfei zierte auch das Oktober-Heft von ORIZONT. Im Inneren konnte man dann Beiträge über die Nobelpreisträgerin 2009 lesen. Verfasst wurden sie von Rodica Binder, Radu Pavel Gheo, Roxana Nubert, Gabriela Glăvan, Elena Craşovan und Pia Brînzeu (ein Artikel vom Juni 1983 aus dem Archiv). Gekrönt wurde diese Serie von der Transkription eines Interviews, das Robert Şerban mit Herta Müller am 12. März 2005 beim Fernsehsender TELEVIZIUNEA ANALOG TIMIŞOARA führte. Bei ORIZONT ging das im Jahr 2010 mit abnehmender Intensität so weiter. Im Januar wurde ein ausführliches Interview mit Eginald Schlattner abgedruckt. Darin wird auch über Herta Müller und ihren Nobelpreis gesprochen. Im ersten Teil eines langen Essays legt Radu Pavel Gheo seine ganz persönliche Sicht auf diese Nobelpreisvergabe und ihre Protagonistin dar. (Vielleicht sollte man hier erwähnen, dass es in Rumänien keine einhellige Freude über diese Nachricht gab.) Der ORIZONT-Essayist gehört eindeutig zu den positiv gesinnten. In seiner Einschätzung gibt es viele schöne Sätze. In einem heißt es: „Die Anwesenheit einer aus Rumänien stammenden Schriftstellerin (obwohl Herta Müller mehr als das ist) auf der Liste der Nobelpreisträger  – man verzeihe mir meine Pathetik – stellt einen Silbernagel in der Wand der Ewigkeit dar.“ Im Februar 2010 erschien der zweite und im März der dritte Teil dieser sehr emotionalen Würdigung. Es folgen auch in den folgenden Monaten und Jahren immer wieder Beiträge, die sich mit der Person und dem Werk Herta Müllers befassen. Stolz titelte man in der September-Nummer 2013: Herta Müller debütiert in ORIZONT. Der Temeswarer Literaturkritiker Cornel Ungureanu erinnerte sich nämlich, dass da mal was in dieser Zeitschrift von Herta Müller veröffentlicht wurde. Die Recherche im Archiv hat dann ergeben, dass in der Juni-Ausgabe 1972 tatsächlich ein Gedicht der heutigen Nobelpreisträgerin zu lesen war: Flori căzute. Ein netter Zehnzeiler, kann man heute noch feststellen.

Über die Jahre verteilt wird auch immer wieder über die Aktionsgruppe Banat geschrieben. Und das nicht nur im Zusammenhang mit Herta Müller, die ja oft fälschlicherweise als Mitglied dieser Autorengruppe genannt wird. Man hat die Schikanen der Securitate in der literarischen Szene des Banats nicht vergessen. Und bei der Aufarbeitung dieses kommunistischen Phänomens wird die Gruppe der (damals) jungen Schriftsteller immer wieder erwähnt.

Die Themenvielfalt in ORIZONT ist sehr breit gefächert. Spricht man von Literatur, kann das Theater natürlich nicht fehlen. Hier bleibt das DEUTSCHE STAATSTHEATER TEMESWAR nicht links liegen. Viele Aufführungen in diesem Haus werden von der rumänischen Literaturzeitschrift mit kritischem Kennerblick besprochen.

Man kann auch immer wieder sehr lehrreiche kultuthistorische Beiträge lesen. In der Juni-Ausgabe 2013 beschäftigt sich zum Beispiel Mihai A. Panu mit der deutschen Schule im rumänischen Banat. Der Verfasser gibt als benutzte Quellen Arbeiten von Kaspar Hügel, Hans Weresch und Anton Valentin an.

Die Geschichte der Deutschen in diesem Teil Europas findet auch heute noch Eingang in die Literatur und andere Kunstsparten. Im August 2014 stellt Christina Chevereşan den Roman Lindenfeld von Ioan T. Morar  auf zwei Spalten vor. Lindenfeld revizitat (Lindenfeld wiederbesucht) überschreibt sie ihre Kritik. Die zwei anderen Spalten derselben Seite tragen die Überschrift Apfelstrudel fără aluat (Apfelstrudel ohne Teig) und beinhalten eine Kritik des Films O poveste de dragosteLindenfeld (Eine Liebesgeschichte - Lindenfeld), den Radu Gabrea mit Victor Rebengiuc und Victoria Cociaş in den Hauptrollen gedreht hat. Eine ergreifende Geschichte des Verschwindens. Aber auch der Wiederkehr und des Weiterlebens auf unbestimmte Zeit in der Literatur und Filmkunst.
Anton Potche

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