Mittwoch, 5. Oktober 2016

Ein nicht geplantes Kunstintermezzo

Arbeit von Sieglinde Bottesch
Foto: Anton Potche
Eigentlich wollte ich nur endlich mal diese farbige Katze fotografieren, von deren Existenz ich schon vor etwa fünf Jahren in einer Zeitschrift gelesen hatte. Dafür musste ich ins Ingolstädter Nordwest-Viertel, ein Stadtteil, in dem mehr als 20.000 Menschen leben, wovon ca. 70 Prozent einen Migrationshintergrund haben. Bei mindestens 30 Nationalitäten ist es nur normal von einem Multi-Kulti-Viertel zu sprechen. Dort lebt auch die aus Siebenbürgen gekommene Künstlerin Sieglinde Bottesch. Sie ist seit vielen Jahren Mitglied im Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberbayern Nord & Ingolstadt e. V.  Und sie hat ihren Stadtteil mit bunten Tiertupfern bereichert. Leider fand ich die gesuchte Katze nicht. Dafür aber einen bunten Schmetterling, einen stolzen Hahn und ein graziös dahinschreitendes Ross. Und schon hat ein sprühwütiger Schmutzfink dem Pferd einen schwarzen Fleck verpasst - zum Glück nur auf einer Seite. Das ist leider das Schicksal vieler Kunstarbeiten im öffentlichen Raum. Einige Fotos und schon ging es wieder heimwärts an diesem Samstagnachmittag. (Und irgendwann werde ich auch diese Katze finden, falls sie noch irgendwo in dem großflächigen Hochhausviertel steht.)

Und dieser Weg führte an der Städtischen Galerie in der Harderbastei vorbei. Auch dort hängen zurzeit Werke von Kolleginnen und Kollegen der längst etablierten Zeichnerin, Malerin, Grafikerin, Objekt- und Installationskünstlerin Sieglinde Bottesch. Unter dem Titel Die Neuen stellen „neu aufgenommene Mitglieder des BBK Obb. Nord & Ingolstadt e.V.“ einige ihrer Werke aus. Ein wenig frustriert ob der ergebnislosen Suche nach einer bunten Katze spürte ich das Bedürfnis nach einem Ausgleich und trat ein. Dem Besucher wird eine reiche und interessante Palette an Stilrichtungen und verwendeten Materialien dargeboten: Tusche und Kohle auf Papier, Öl auf Leinwand, Acrylglas, Acryl auf Karton, Fotografie Fine-Art-Pigmentdruck kaschiert auf Alu Dibond, Öl auf Korkplatte, Acryllack und UV Farbe auf Holz, Tuschzeichnung auf Papier, Öl/Baumwolle, Beton/Alu/Holz und die Mischung Acryl/Öl/Ölkreide auf Leinwand. Diese Vielfalt verdanken wir einer (zumindest von ihrer Abstammung her) ebenso unterschiedlichen Künstlerschar: Dorina Csiszár (geb. in Ungarn), Radmilla Curcic (Zrenjanin / Serbien), Annette Glück (Passau), Imre Hasanic (Palic / Jugoslawien), Johannes Hauser (Augsburg), Dieter Jungwirth (Ingolstadt), Agnes Krumwiede (Neuburg an der Donau), Aleksandra Lung (Apatin / Serbien), Stefan Pautze (Radebeul), Sonja Reuthlinger (Ihrlerstein), Bodo Rott (Ingolstadt), Jürgen Schulze (Würzburg), Stefan Wanzl-Lawrence (Neuburg an der Donau) sowie Leonore Weiss (Neumarkt St. Veit). 

Acrylglas von Serio Digitalino
Foto: Anton Potche
Gleich beim Eintritt in den langgezogenen Galerieraum viel mir eine kleine Skulptur aus Glas auf. Wie wehender Stoff kam mir das blaue Acrylglas auf den ersten Blick vor. (Die Ausstellungsobjekte sind alle nicht betitelt.) Filigrane Vollkommenheit. Ein älterer Herr (also zumindest älter als meine Wenigkeit) war gleich hinter mir in das Gewölbe gekommen und stand jetzt schon im Begriff, es wieder zu verlassen. Dann nahm er sich doch noch ein wenig Zeit, um dem netten Herrn mit dem Hut, der an diesem Nachmittag die Aufsicht übernommen hatte, zu erklären, dass er mit den hier ausgestellten Arbeiten nicht allzu viel anfangen könne – wohlgemerkt: ich stand noch immer an der Glasskulptur -, er wäre ein Fan der Malerei aus dem 18. und 19. Jahrhundert. „Porträtmaler. Das waren noch echte Künstler. Die haben Bilder gemalt wie fotografiert.“ Was der Porträtfan und auch ich nicht wussten, war, dass der freundliche Herr mit Hut, Brille und grauem Ziegenbart der Schöpfer des blauen Kunstwerkes war, vor dem ich noch immer stand.

Serio Digitalino, 1956 in Matera (Basilicata) in Süditalien geboren und heute in Wolfersdorf lebend, hörte dem kunstbeflissenen Herrn geduldig zu und sagte dann etwas von Geschmack und Kunstepochen. Ich hatte längst meinen Fotoapparat aus der Tasche genommen und war langsam in die Tiefe des Ausstellungsraums gegangen. An dessen Ende waren weitere Arbeiten von Serio Digitalino ausgestellt. Ich hatte gefragt, ob ich fotografieren dürfe und eine freundliches „Ja, natürlich“ erhalten. Als ich dann mein Intermezzo mit der Ingolstädter Kunstszene beenden wollte, hatte sich eine Kollegin zu Serio Digitalino gesellt, und der wollte dann plötzlich von mir wissen, was ich mit den Fotos, die ich gemacht hatte, vorhabe. Wir leben in einer Zeit des allgegenwärtigen tiefen Misstrauens. Ich wäre Blogger, sagte ich ihm, und würde diese Bilder erst mal speichern und irgendwann, vielleicht nach Jahren, als Bebilderung meiner Startseite (Mit dem Fotoapparat unterwegs) benutzen. Wo man den Blog sehen könne, setzte er nach, höflich aber bestimmt. Diese Information gab ich ihm gerne. Er zog sein Handy, googelte meinen Blog und versicherte mir, er werde zu Hause auf dem größeren Computerbildschirm noch einmal nachschauen. 

Acrylglas von Serio Digitalino
Foto: Anton Potche
Ich hoffe doch sehr, das war nicht als Drohung gemeint. Mit dieser Zuversicht habe ich mich entschlossen, diese Begegnung mit der Kunst Serio Digitalinos und seiner Kolleginnen und Kollegen auch in Worte zu fassen. Und natürlich soll dabei ein virtueller Besuch bei dem höflichen Künstler Serio Digitalino nicht versäumt werden. Er wird sich bestimmt über jeden seiner der Kunst zugetanen und (wie im Gespräch mit dem Porträtbewunderer gesehen) kunstbeflissenen Besucher freuen. Seine Kunst ist auf jeden Fall einen Besuch  wert.

Die Gemeinschaftsausstellung in der Ingolstädter Harderbastei ist noch bis zum 9. Oktober 2016 zu sehen. Für Samstag, 8. Oktober, 19:00 Uhr ist eine Finissage vorgesehen.
Anton Potche

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