Mittwoch, 6. Juli 2016

Ein Konzert am Sonntag nach dem Brexit

Foto: Anton Potche
Henry Eccles ist ein unbekanntes Wesen, wahrscheinlich genauso unbekannt wie die Masse der Brexit-Befürworter. Auch er war Engländer, lebte zwischen 1675 (oder 1685)  und 1735 (oder 1745) und … Das war’s dann auch schon. Man vermutet, dass er der Bruder des Komponisten John Eccles (1668 – 1735) war. Eine Gewissheit scheinen Biografen dann aber doch noch in seiner Vita gefunden zu haben. Er reiste nämlich 1713 nach Paris und lebte als Violinist am Hofe Ludwigs XV. Zum Unterschied zu seinen europaabstinenten Landsleuten des Jahres 2016, deren Verunsicherung nach ihrem EU-Austritts-Votum förmlich in der Luft liegt, wusste Henry Eccles anscheinend genau, was er wollte: Musik wollte er machen, in einer Tonsprache komponieren und musizieren, die sowohl in England als auch auf dem Kontinent Anklang finden kann. 25 Werke von ihm sind bis heute erhalten geblieben. Eins von ihnen, Sonate g-Moll für Violoncello und Basso continuo, eingerahmt von Johann Sebastian Bachs (1685 – 1750) Pièce d’orgue BWV 572 und Georg Philipp Telemanns (1681 - 1767) Sonate a-Moll für Oboe und Basso continuo stand auf dem Programm der OrgelMatinee um Zwölf in der Ingolstädter Asamkirche Maria de Victoria. Ob Bach und Telemann jemals von Eccles gehört hatten, ist nicht bekannt. Sicher aber ist nach diesem Konzert am ersten Sonntag nach dem Brexit, dass die drei Herren eine allgemein verständliche und ins Gemüt gehende Tonsprache beherrschten, die auch heute noch berührt - vorausgesetzt, sie wird von den richtigen Leuten gesprochen.

Und das war am 26. Juni 2016 um die sonntägliche Mittagsstunde der Fall. Drei Menschen, aus drei Nationen unterhielten sich in der Tonsprache Bachs, Eccles und Telemanns. Und zwar so, dass alle Konzertbesucher sie verstanden. Evi Weichenrieder an der Orgel und dem Cembalo, Andrea Riemer am Violoncello und George Kobulashvili mit der Oboe erzählten auf ihren Instrumenten aus einer Welt, von der uns nicht viel mehr als Archivalien, Bauten und eben die Musik erhalten geblieben sind. Evi Weichenrieder ist Deutsche, Andrea Riemer eine in Ingolstadt beheimatete Engländerin und George Kobulashvili ein ebenfalls im Raum Ingolstadt lebender Georgier. Und ihre Musik ist deutsch, englisch, französisch … europäisch. So mancher der Zuhörer in der vollen Kirche wird vielleicht besonders in den getragenen Teilen der gespielten Stücke auch einen Gedanken an die segensreiche Ruhe, den Frieden, der uns seit vielen Jahrzehnten in Europa beschert ist, verwendet haben. Er ist einzig und allein der politischen Gemeinschaft (trotz aller Unterschiede) auf diesem Kontinent zu verdanken.

Foto: Anton Potche
Das war in dem Konzert in der Asam-Kirche wirklich sichtbar, spürbar, hörbar. Und zwar besonders zum Schluss, als der Applaus nicht abebben wollte und die Künstler zu einer Zugabe bewegte, was eigentlich in dieser Konzertreihe nicht üblich ist. Evi Weichenrieder kündigte sie mit der Bemerkung an, man spiele sie für die Schwester Andrea Riemers, die „für dieses Konzert trotz Brexit aus England angereist“ sei. Der aufbrausende Beifall schon während der Worte Evi Weichenrieders sprach Bände.

Vielleicht wäre es nicht verkehrt, wenn auch Boris Johnson, Nigel Farage, Michael Gove und Konsorten – nicht nur die von der Insel - öfter mal in ein Konzert gehen würden. Damit sie sehen und hören, was dabei herauskommt, wenn Menschen aufeinander hören, sich selbst zurücknehmen, dem anderen den Vortritt gewähren, um dann freudig in Ton und Gestik zu jubilieren, wenn man einen Solopart im Interesse der Gemeinschaft interpretieren kann, und zwar so, dass alles Vorangegangene und Nachfolgende zu einem Werk verschmilzt.
Anton Potche

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen