Schon nach wenigen Dialogen hatte ich den Faden. Und das war
auch wichtig, denn Investigativjournalisten leben vom Recherchieren, also vom
Suchen, Fragen und Auswerten. Um nichts anderes geht es in diesem Film, dessen
Drehbuch von Josh Singer & Tom McCarthy nach wahren Begebenheiten
verfasst wurde: Vorfälle, die in der katholischen Kirche in Amerika passiert
sind und von einer Gruppe Journalisten der Zeitung THE BOSTON GLOB im Jahre
2002 an die Öffentlichkeit gebracht wurden.
Dass diese Enthüllungsgeschichte seinerzeit mit dem
Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, deutet auf die gesellschaftliche Bedeutung der Enttabuisierung einer
Ungeheuerlichkeit hin. Katholische Priester vergingen sich an Minderjährigen. Der
Film zu dieser Investigationsgeschichte zeigt, wie schwierig es war, die
Verbrechen der Herren in Roben ins Rampenlicht einer sehr stark katholisch geprägten
Öffentlichkeit zu zerren. Die
Oscarnominierungen sind ein Beweis für die Brisanz dieser Thematik, die wahrscheinlich
nur von den Opfern der sexgeilen und vor allem pädophilen Priester in ihrer
ganzen Tragik erfasst werden kann; aber auch eine Anerkennung für Filmkunst auf
höchstem Niveau. Das gilt sowohl für die Regie als auch für die
darstellerischen Leistungen: Michael Keaton als Walter „Robby“ Robinson, Mark Ruffalo als Michael Rezendes, Rachel McAdams als Sacha Pfeiffer und Brian D’Arcy James als Matt Carroll in
den Hauptrollen.
Der Streifen ist sowohl ein Sozialdrama als auch ein
Thriller, obwohl es keine Leichen gibt. Dafür gibt es unzählige für ein Leben
lang traumatisierte Menschen, die zwar in dem Film nur von wenigen
repräsentativen Opfern dargestellt werden, hier aber in ihrer Gesamtheit ein
würdiges Denkmal gesetzt bekommen. Das ganze Ausmaß der damaligen
Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche Amerikas wird erst im Abspann des
Films mit Zahlen dargelegt, während der Film sich auf die Recherche der
Journalisten in ihrer Stadt Boston konzentriert.
SPIEGEL ONLINE schrieb am 10. Februar 2010: „In den USA
kamen die Missbrauchsfälle 2002 durch eine Reihe von Berichten des "Boston
Globe" ans Licht, die den Pulitzerpreis gewann. Zwei Jahre später zog ein
Report der US-Bischofskonferenz ein erschütterndes Fazit: Von 1950 bis 2004
bestätigten sich 6700 Missbrauchsvorwürfe gegen 4392 US-Priester. Die Opfer
waren zwischen 11 und 17 Jahre alt. 3300 Priester waren bereits verstorben, von
den restlichen wurde gegen 384 ermittelt, 252 wurden verurteilt, 100 kamen ins
Gefängnis - nur zwei Prozent der insgesamt Beschuldigten.“
Die Oscarverleihung 2016 hat Spotlight zwei Oscars beschert: „Bester Film“ und „Bestes
Originaldrehbuch“. Ich habe also einen großartigen Film gesehen. Eigentlich
Grund genug zu vollkommener Genugtuung. Ja, wenn da dieser Inhalt mit seinem
Wahrheitsgehalt nicht gewesen wäre. Also steuerte ich meinen alten Drahtesel
über die Donau heimwärts und ließ meine Gedanken kreisen: da muslimische
Prediger, die jungen Männern 72 Jungfrauen fürs Jenseits versprechen, wenn sie
sich in Paris, Brüssel und andernorts in die Luft sprengen, und dort
christliche Prediger, die ihre Lämmer sexuell missbrauchen. Es war zwar schon
Frühling … aber eben auch Karwoche.
Spotlight; Regie: Tom
McCarthy; Drehbuch: Josh Singer & Tom McCarthy; Darsteller: Mark Ruffalo, Michael
Keaton, Rachel McAdams, Live Schreiber, John Slattery, Stanley Tucci u. a.
Anton Potche
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