Mittwoch, 13. April 2016

danubia connection N° 2 - Keine Chance für Mugur Călinescu – 2. Tag

Der zweite Ingolstädter Tag der Junge[n] rumänische Autorinnen im Scheinwerferlicht begann unter außergewöhnlichen Schutzmaßnahmen. Eine Hundertschaft von Bereitschaftspolizisten hatte das Kleine Haus am Brückenkopf umstellt. Alle Zufahrtswege waren mit Polizeiautos abgeriegelt. Schwer bewaffnete Polizisten, Schauspieler und Zuschauer benutzten gemeinsam die Toilette im Theaterprovisorium an der Donau. (Nichts hält länger als ein Provisorium, sagt der Volksmund.) Dass es  unter diesen äußeren Umständen für den drinnen im kleinen Saal den Akten der Securitate entstiegenen Mugur Călinescu keine Chance zum Entkommen gab, wäre eindeutig gewesen, wenn ... ja wenn die Polizisten wegen ihm angerückt wären.

Dem war aber nicht so. Die waren vor Ort, um dafür zu sorgen, dass rechts und links der Donau versammelte Demonstranten (Der III. Weg) und Gegendemonstranten vom lokalen Bündnis Ingolstadt ist bunt sich nicht zufällig in die Quere kamen. Das sollte aber den Gymnasiasten Mugur Călinescu nicht aufatmen lassen, denn um ihn kümmerten sich auf der Bühne des Kleinen Hauses sehr intensiv Kollegen, Lehrer, Parteibonzen, Securitateoffiziere und nicht zuletzt seine geschiedenen Eltern. Sie alle machen mit ihrer Fürsorge das Theaterstück Schrift in Großbuchstaben (aus der Anthologie Machtspiele. Neue Theaterstücke aus Rumänien, Verlag Theater der Zeit, Berlin, 2015), verfasst von Gianina Cărbunariu und ins Deutsche übersetzt von Daria Hainz, aus.

Wie die Autorin selbst sagte, hat sie dieses Stück nicht geschrieben, sondern aus Aktenzitaten des rumänischen Geheimdienstes Securitate zusammengesetzt. Also ein Collagen-Stück von der Form her ähnlich mit Herta Müllers Collagen-Gedichten. Aber warum kümmern sich alle so um den Schüler Mugur Călinescu, der doch nur die Losung „Freiheit! Wir fordern, dass die Menschenrechte respektiert werde!“ an eine Wand gesprüht hatte. Wer Ort und Zeit der Handlung erfährt und sich nur ein wenig in der Geschichte Rumäniens auskennt, weiß sogleich Bescheid: Botoşani im Jahre 1981. Die dunkelste Periode des rumänischen Nationalkommunismus war angebrochen. Der Geheimdienst des Diktators Nicolae Ceauşescu verbreitete Angst und Schrecken im Land. Wer aufmuckte, stand schnell allein und verlassen da. Das Stück demaskiert nicht nur die Grausamkeit eines diktatorischen Regimes, sondern zieht auch die Unverhältnismäßigkeit der Securitatemaßnahmen ins Lächerliche, ganz abgesehen von der simplen von Primitivismus strotzenden Phrasendrescherei des Geheimdienstes, um zum Schluss die Heuchelei der Geheimdienstler und ihrer Helfershelfer bloßzustellen.
Fotos: Anton Potche

Eine gelungene szenische Lesung war das, was der Ingolstädter Schauspieler Sascha Römisch im an diesem Nachmittag (16:00 Uhr) rundum abgesicherten Kleinen Haus des Stadttheaters Ingolstadt inszeniert hatte. Zuerst waren die Losungen da, dann kamen die Ankläger und als die Losungen verschwanden, stand der Angeklagte da - schutzlos den Häschern der Securitate ausgeliefert. Auch eine Lesung (mit viel Spiel) benötigt gute Darsteller, wenn sie gut sein soll. Diese hier war gut, dank Victoria Voss, Olaf Danner, Peter Greif, Benjamin Kneser (als Mugur Călinescu), Ralf Lichtenberg und Marc Schöttner.


von links: Daria Hainz,
Gianina Cărbunariu, Irina Wolf
Nach der szenischen Lesung stellte sich die auch international bekannte Autorin und Regisseurin Gianina Cărbunariu den Fragen des Publikums. Ihre Übersetzerin Daria Hainz stand ihr dabei hilfreich zur Seite. Schnell entwickelte sich eine lebhafte Diskussion, die von Neugierde, aber auch von Selbsterlebtem seitens des Publikums geprägt war. Die Fragenden hatten es mit einer sehr charmanten, aufgeschlossenen, gut informierten und auch schlagfertigen Gesprächspartnerin zu tun. Dass die Securitate sogar unter den minderjährigen Schulkindern Spitzel rekrutierte, traute ich persönlich diesem Geheimdienst zwar zu, dass die Ausmaße aber so aberrant hoch waren, hätte ich mir dann doch nicht vorgestellt. Gianina Cărbunariu erwähnte einen Fall von 120 zu Spitzeltätigkeiten rekrutierten Jugendlichen in einem Gymnasium mit nur einigen Hundert Schülern. Sie Securitate sei nicht tot, erzählte sie weiter. Die Geheimdienstmitarbeiter von damals hätten nach 1990 eine Weile innegehalten, um dann im neuen SRI (Serviciul Român de Securitate – Rumänischer Geheimdienst) wieder aktiv zu werden. Als Sucherin in den Akten gesteht die Autorin sich selbst einen voyeuristischen Ansatz zu, der einfach entsteht, wenn man sich in diese Geschichten vertieft. Man stellt aber auch fest, dass sich in den Dossiers Realität und Fiktion sehr nahe kommen. Besonders die Denunziationen stammen oft aus dem Reich der Fantasie. Als Beispiel führte sie einen sehr fleißigen Denunzianten an, der jede Geste seines Opfers kommentierte, und auf dessen schriftliche Eingabe der die Akte begutachtende Securitateoffizier den Vermerk notierte: „Die Interpretation nehmen wir vor.“ Das wiederum hat einen Zuschauer zu der Frage veranlasst, ob im heutigen Rumänien angesichts der vielen verhafteten Politiker überhaupt noch zwischen Denunziation und Zivilcourage unterschieden wird. Die konkrete Antwort blieb aus. Gianina Cărbunariu beschränkte sich auf den Unterschied zwischen Denunziation (rum.: turnătorie) und Zivilcourage. Es ist aber nach ihrer Überzeugung sicher so, dass sowohl die gewesenen Securitatemitarbeiter als auch deren Nachfolger bestimmt wussten und wissen, dass sie sich des Denunziantentums und nicht der Zivilcourage bedienten und wohl auch heute noch bedienen. „Es gibt eben Dinge, die sind legal, aber nicht moralisch. Wie eben das Beispiel Panama zeigt.“ Als ein sich bekennender Siebenbürger Sachse die 1977 geborene Autorin fragte, ob sein Landsmann Klaus Johannis „da unter den Rumänen eine Zukunft habe“, bekam er die schlagfertige Antwort: „Er hat vor allem eine Vergangenheit.“ So war diesem eigentlich todernsten ersten Teil des Theaternachmittags vom 9. April noch ein heiterer Ausklang beschert.

Auch der zweite Teil wurde von einem Theaterstück Gianina Cărbunarius ausgefüllt. Die szenische Lesung des Stückes Spargel (gleiche Anthologie) wurde von Mona Sabaschus in Szene gesetzt. Die in einem Supermarkt beim Warten auf erhoffte Preissenkungen kurz vor Ladenschluss ins Gespräch gekommenen Georg, Rentner, und Dani, rumänischer Leiharbeiter, wurden von Jan Gebauer und Béla Milan Uhrlau gespielt. Im Programmheft kann man zu diesem Stück lesen: „Die Autorin nimmt die westliche Konsumgesellschaft ins Visier und widmet sich gleichzeitig mit einer frechen Portion schwarzem Humors den aktuellen Themen Migration und Toleranz.“

Auch diesem Stück folgte ein Publikumsgespräch, womit der verlängerte Theaternachmittag mit erhöhten Sicherheitsmaßnahmen aber noch lange nicht zu Ende war. Die Bühne wurde nämlich von der Band Toulouse Lautrec besetzt, die zu einem Buffet und vielleicht auch Tanz aufspielte (ich war schon nach dem ersten Theaterstück gegangen, war doch weit und breit keine Blasmusik in Sicht), um so den Festivalcharakter von danubia connection N° 2 auch voll und ganz zu gewährleisten.
Anton Potche

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