Mittwoch, 9. September 2015

Literaturfrühschoppen auf dem Open Flair Festival im Klenzepark Ingolstadt

Foto: Anton Potche
Zum 33. Mal ging am vergangenen Wochenende im Klenzepark Ingolstadt das Open Flair Festival über die Bühne. Angepriesen wurde es auch diesmal als ein „außergewöhnliches Alternativ-Kultur-Festival“, das „Literatur, Musik, Tanz und Theater sowie gestaltende Kunst und liebevolles Handwerk mit selbstverständlicher Leichtigkeit verwebt“.  So nachzulesen im Grußwort des OBs Dr. Christian Lösel in der Programmbroschüre. Die Literatur fand auch diesmal ihren Darstellungshort im Literaturzelt unter dem schon bewährten Motto Wort im Wald. Drei Tage lang fanden hier verschiedene Literaturveranstaltungen (Lesungen, Poetry Slam, Improvisationstheater) statt. Am Sonntag um 11:00 hatte der Ingolstädter Kulturmanager Harald Kneitz wieder zum schon traditionellen Literaturfrühschoppen geladen. Gefolgt waren seiner Einladung (auf dem Foto v. l.) Donald Berkenhoff (Chefdramaturg am Theater Ingolstadt), Michael Kleinherne (Autor, Journalist, Dozent an der Katholischen Universität Eichstätt), Sabine Lurtz Herting (Kulturmanagerin, Absolventin des Literaturinstituts Leipzig) und Kristof Magnusson (Kirchenmusiker, Autor, Absolvent des Literaturinstituts Leipzig und ab dem Wintersemester 2015/16 Poetikdozent an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden) sowie 17 Interessenten, zu denen sich im Laufe der gut einstündigen Podiumsdiskussion ein weiteres Dutzend Zuhörer gesellte.

Das angekündigte Diskussionsthema lautete: „Ausbildungsberuf Schriftsteller? – Was vermitteln Schreibinstitute?“ Der Kulturveranstaltungsprofi Kneitz – er war selber mal Deutschlehrer an einem Ingolstädter Gymnasium und mein Sohn hat ihn auch als solchen in guter Erinnerung – hatte die Protagonisten dieser Diskussionsrunde in zwei Meinungslager aufgeteilt: rechts von ihm die Fraktion der Skeptiker und links die der Schreibinstitutsbefürworter. Dabei gab es wie bei solchen Veranstaltungen üblich keine gerade Trennungslinie. Schon darum nicht, weil der Hochschullehrer Kleinherne sich betont neutral verhielt und die Kulturmanagerin Lurtz Herting den in Leipzig erlernten Beruf nicht ausübt.

Umso deutlicher positionierte sich der Theaterfachmann Berkenhoff. Er ist eindeutig kein Freund von Literaturinstituten. Viele Autoren aus diesen universitären Einrichtungen würden ähnliche Texte vorlegen, argumentierte er und wurde mit Aussagen wie „man wird geeicht auf das, was der Markt gerade braucht“ sehr deutlich. Er findet Autoren wie Jelinek oder Bernhard da viel origineller.

Kleinherne hält selber auch Schreibworkshops ab und blieb in der Diskussion wesentlich zurückhaltender in Blick auf die Literaturinstitute. Er arbeite auch berufsbedingt mit zukünftigen Lehrern, die natürlich eine ganz andere Zielgruppe sind als angehende Autoren. Daher spricht er lieber von einem „Handwerk des Schreibens“, das schon von dem Schwerpunkt Kreativität, wie er es bei Literaturinstituten vermutet, abweicht. Aber es wird auch in seinen Kursen immer erst interessant, wenn gewisse „Muster aufgebrochen werden“. Also da lag der Hochschulmensch schon sehr nahe beim Theatermensch.

Magnusson hielt dem entgegen, dass Handwerk zwar vermittelt werden kann, aber nicht so auch das Talent. Und auf Letzterem bauen Literaturinstitute nun mal ihre Arbeit auf. Man könne den Grund für Mediokrität „nicht in Schreibschulen suchen“. Es stellt ja auch niemand die Schauspielschulen infrage, „nur weil es sehr viele mittelmäßige Schauspieler gibt“. Er selber versuche als Dozent, das Literaturhandwerk den Leuten so zu vermitteln, „dass sie nachher wissen, welche Regeln sie bewusst brechen müssen, damit es wirklich interessant wird, damit es Literatur wird“. Das klang schon nach Zugeständnis an die zwei Herren auf der Gegenseite, sollte aber nicht als Zweifel an der Daseinsberechtigung der Institute verstanden werden, denn immerhin kommen etwa aus dem Leipziger Institut Autoren wie Clemens Meyer oder Juli Zeh oder Saša Stanišić, und „die schreiben nun ja wirklich grade nicht nach Schema F“. Außerdem kann man sich in einem Literaturinstitut eine gewisse „Sprechfähigkeit über Literatur aneignen“. Auch daraus resultiert ein „gutes Studium bei der Beschäftigung mit Literatur“.

Nicht gerade als Verfechterin der Literaturinstitute zeigte sich Sabine Lurtz Herting, ohne sie allerdings als ehemalige Studentin entschieden abzulehnen. Man stehe wie viele Geisteswissenschaftler nach erfolgreichem Abschluss erst mal da und werde mit der Härte einer Jobsuche konfrontiert. Das sei wesentlich schwerer als bei Technik- oder Wirtschaftsberufen. Es waren dann auch Sicherheitsaspekte, die sie dazu bewogen haben, nicht den Autorenweg einzuschlagen, sondern es in einem anderen Kulturbereich zu versuchen, was sich letztendlich als sehr hürdenreiche Geschichte – auch mit für die Protagonistin mehr oder weniger interessanten Anekdoten – herausstellen sollte. Der Beruf des Autors, findet sie, sei auch mit sehr vielen „Klischees“ belastet. Der Leser will gerne das „Heroische“ in oder an einem Autor sehen – „den, der zum Beispiel sein Hotelzimmer verwüstet“ - und weniger die „sorgfältige Arbeit“ an seinem Werk. Trotzdem haben von 20 Kommilitonen Lurtz Hertings „mehr als die Hälfte“ den Weg der Schriftstellerei eingeschlagen. Die Frage, „kann man davon leben, kann man ausschließlich davon leben“, ist natürlich eine andere.

So flogen die Bälle frohgemut hin und her, und Moderator  Harald Kneitz sorgte in bekannter Manier dafür, dass keine Verlegenheitspausen entstanden. Dazu bemühte er sogar Adolf Hitler, als die Diskussion dahin ging, dass viele Künstler stur an ihrer Schreib- oder Malobsession festhalten, obwohl sie bereits aus mehreren Akademien geflogen sind. Er meinte dazu, „dass uns viel Ärger erspart geblieben wäre“, wenn Hitler nach seinem Rauswurf aus der Kunstakademie aus Trotz beim Malen geblieben wäre. Kristof Magnusson erwiderte darauf, „dass es im Umkehrschluss bedeutet, dass Fassbinder nicht Fassbinder geworden wäre, wenn es die Akademie nicht zumindest gegeben hätte“.  

Literaturzelt auf dem Open Flair
Foto: Anton Potche
Natürlich war die Frage nach dem Sinn der Literaturinstitute beim Schlusswort des Moderators genauso sperrangelweit offen wie zu Beginn der Podiumsdiskussion. Ja, es sind sogar zusätzliche Fragen in den Raum geworfen worden, die zeigen, dass der Gesprächsstoff für weitere Wort[e] im Wald nie ausgehen wird. Und für die Zuhörer war es auch diesmal eine rundum informative und unterhaltsame Veranstaltung.

Anton Potche

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