Montag, 4. Mai 2015

Konzert mit kulturpolitischem Unterton

Die in Ingolstadt längst zur Tradition gewordene Orgelmatinee um Zwölf ist vom Stapel. Und die Liebhaber klassischer Musik im weiteren Sinn des Wortes und Kirchenmusik im engeren Sinn pilgern Sonntag für Sonntag um die Mittagsstunde in die Asamkirche Maria de Victoria in der Neubaustraße. So auch gestern, am letzten Tag des langen Maiwochenendes. Werke von Nicolaus Bruhns (1665 – 1697), Petronio Franceschini (1651 – 1680) und Carl Stamitz (1745 – 1801) standen auf dem Programm. Die Ausführenden waren für Kenner der regionalen Musikszene weitgehend bekannte Namen.

Quasi als Einleitung erklang – auch das schon Tradition – ein Orgelwerk von der Empore. Georg Staudacher konnte im Praeludium G-Dur von Nicolaus Bruhns seine gute Beinarbeit unter Beweis stellen. Von Bruhns selber erzählt man, dass er als hervorragender Geiger und Organist eine Violinstimme auf dem Orgelpedal so virtuos begleiten konnte, dass Zuhörer annahmen, es wären mehrere Musiker im Einsatz. So hat der Mann auch komponiert. Und der Organist Georg Staudacher, zurzeit Stipendiat der Begabtenförderung der Hanns-Seidel-Stiftung, scheint ihn verstanden zu haben.

Als zweites Stück dieses Konzertes erklang die Sonate D-Dur für zwei Trompeten, Streicher und Basso continuo von Petronio Franceschini. Vier kurze Sätze, die den zwei Trompetern einiges abverlangten. Es zeigte sich auch hier wieder, wie schwierig, ja fast unmöglich es ist, ein reines Bläserstück ohne jegliche Tonschwankung oder angetastete Technikhürde über die Runde zu bringen. (Wir reden von Live- und nicht Konservenmusik.) Das war auch hier nicht anders, was den Gesamteindruck der Darbietung aber kaum beeinträchtigen konnte. Profis wie Hans Jürgen Huber, Kulturpreisträger der Stadt Geisenfeld, und Michael Morgott, Kulturförderpreisträger des Landkreises Rosenheim, überspielen knifflige Momente, von vielen Zuhörern vielleicht gar nicht wahrgenommen, absolut souverän. Ich hatte beim Adagio den Blick kurz ins Programmheft gesenkt und musste beim Aufschauen feststellten, dass jetzt der beim Einsetzen des Themas pausierende Trompeter spielte. So etwas nennt man wohl eine perfekte Übernahme. Und als Konzertbesucher sollte man die Akteure nie aus den Augen verlieren, denn das Entstehen von Musik kann visuell ebenso spannend sein wie die auditive Teilhabe.

Den Bläsern folgten zwei Streicher. Alexander Konjaev (und nicht Sascha wie im Programmheft) ist Stimmführer der zweiten Violinen im Georgischen Kammerorchester und Vadim Makhovskiy begleitet die gleiche Funktion bei den Bratschisten der Georgier. Eine der Stärken dieser Ingolstädter Konzertreihe liegt auch darin, dass sich hier immer wieder Musiker als Solisten präsentieren können, die in ihrem Berufsleben überwiegend mehr oder weniger anonym in Orchestern agieren. Den Beweis ihrer Solistenqualitäten erbrachten die zwei Musiker in Carl Stamitz’ Sinfonia concertante D-Dur für Violine, Viola und Orchester. Zwischen einem etwas längeren Allegro moderato mit einem wunderschönen Thema – das Auditorium klatschte spontan nach dem Ende des Satzes – und einem Rondeau in beschwingtem ¾-Takt liegt eine Gänsehaut hervorrufende Romance. Eine an Perfektion grenzende Darbietung. Während man Bläsern zu Recht mögliche Interpretationsschwierigkeiten zugesteht (Lippen, Atmung, Fingertechnik) so ist man bei Streichern schnell zur Meinung verleitet, die hätten bei ihren Liveauftritten ein kleineres Risikopotential zu bewältigen. Musiker wissen aber, dass dem nicht so ist. Die Schriftstellerin Kristina Bilkau hat das „Zittern“ in der Hand einer Cellistin erst kürzlich in ihrem Roman Die Glücklichen thematisiert. Alexander Konjaev und Vadim Makhovskiy zitterten an diesem Sonntagmittag nicht – zumindest fürs Publikum nicht wahrnehmbar. Entsprechend begeistert war auch der nach einer Zugabe lechzende Applaus.

Und die gab es dann auch, was in dieser Konzertreihe gar nicht üblich ist, diesmal aber stark nach einer im Vorfeld vorbereiteten Geschichte roch. Hans Jürgen Huber trat nämlich vor das Orchester und tat in seiner unvergleichlich kecken, mit etwas Sarkasmus unterlegten Art kund, dass er mit seiner im Raum Ingolstadt sehr beliebten Bläsergruppe Schutzblech für das Konzertjahr 2015 vom Kulturamt der Stadt nicht berücksichtigt wurde. Sofort schwebte ein abwertendes Oh durchs Kirchenschiff. Der im Umgang mit Publikum erfahrene Huber ließ das ruhig abklingen und erwähnte dann, eher wie beiläufig, die Begründung des Kulturamtes laute: „Bei den Konzerten des Schutzblechs war die Kirche Maria de Victoria immer zu überfüllt.“ Allgemeine Heiterkeit in der auch diesmal vollen Kirche. (Ich fand zehn Minuten vor Konzertbeginn keinen Sitzplatz mehr.)

Die in bester Stimmung, sowohl im wortwörtlichen als auch im übertragenen Sinn, erklingende Zugabe war ein Beweis dafür, dass ein gutes Konzert sich bis zum letzten verklungenen Ton steigern kann. Hans Jürgen Huber hatte seinen Platz am Trompetenpult wieder eingenommen und Alexander Konjaev & Vadim Makhovskiy stimmten eine Bach-Kantate an. Welch herrliche Musik! Sogar das bisher als sehr sicher und einfühlsam begleitende AsamCollegium brachte mit seinem rhythmisch und harmonisch perfekten Pizzicato-Toncluster eine Steigerung zustande. Nicht enden wollender Applaus verabschiedete die Künstler.
                                                                Anton Potche

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