Mittwoch, 4. Februar 2015

Die Angestelltenarbeitswelt auf der Bühne des Ingolstädter Stadttheaters

Dieses Stück hat niemand im Theater Ingolstadt von den Stühlen gerissen – zumindest nicht, als ich es mir ansah. Wie sollte es auch? Wenn sich eine Handvoll Angestellte einer Versicherungsgesellschaft zur Geschäftsjahresabschlussfeier – war das früher nicht mal die Weihnachtsfeier? – auf einem Schiff treffen, muss nicht unbedingt ein Mord geschehen wie in einem Orientexpress, woraus sich dann eine spannende Kriminalgeschichte entwickeln könnte. Nein in Sibylle Bergs Theaterstück Hauptsache Arbeit! geht es viel zivilisierter zu. Es wird philosophiert, angebiedert, geheuchelt, kopuliert, intrigiert und mit steigendem Alkohohlpegel sogar gerauft. Oder sind die zwei schwul? Es passiert öfter mal mehr zu gleicher Zeit auf der Bühne, da können sich Wahrnehmungen etwas vermischen.

Wie auch immer, Auslöser dieser Verhaltensweisen der Mitarbeiter ist eigentlich die Angst, die eigene Arbeit, wie sinnlos sie auch sein mag, zu verlieren. Sie, die Angst, prägt auch die verschiedenen Charaktere. Allerdings sind keine positiven zu erkennen. Diese biederen Angestellten, Frauen wie Männer, werden noch zusätzlich von einem Motivationstrainer mit abnehmbarem Rattenkopf (Ralf Lichtenberg) angestachelt, sich gegenseitig zu dezimieren, in der jeweiligen Hoffnung, nicht weckrationalisiert zu werden. Und sie sind eifrig bei der Sache, das muss man ihnen lassen, den Repräsentantinnen und Repräsentanten unserer aktuellen bürgerlichen Gesellschaft.

Ralf Lichtenberg und Péter Polgár
Sibylle Berg zeichnet ein düsteres, unerfreuliches Bild dieser Gesellschaft im Angestelltenstatus. Der Titel ihres Stückes deutet auf die Literatur der Arbeitswelt hin. Aber nicht die Arbeiterliteratur der Gruppe 61 oder des Werkkreises der 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts ist damit gemeint, sondern eher die „Königsebene der Planer, der Wirtschaftsingenieure und Intellektuellen“, auf die Manfred Durzak schon 1981 in einem Essay über den Wandel des Arbeiterliteraturfokus’ vom Proletarier hin zum Angestellten aufmerksam gemacht hat. Hier sind es eben Versicherungsangestellte. Und sie geben im wahrsten Sinne des Wortes kein gutes Bild ab. Keine Auflehnung gegen das Unrecht. Im Gegenteil, nur charakterschwache Anbiederung, Unterwerfung bis hin zur sexuellen Selbsterniedrigung vor der Geilheit des bumsfreudigen Chefs (Péter Polgár). –  Sinngemäß: „Ich finde keine passenden Kleider, für meine Genitalien.“ – Es geht in diesem Stück nicht um Gut und Böse, um die ewige Auseinandersetzung. Es gibt nur das Erbärmliche in verschiedenen Ausprägungen, von pejorativ daherkommender Diktion bis zu abscheulichen Gebaren der Protagonisten.

Der Ort des Nichtgeschehens – es passiert wirklich nichts Bemerkenswertes – ist absolut zweitrangig. Das Interieur des Kreuzfahrtschiffes (Ausstattung: Christoph Ernst) ist aber eine passende Wahl, sinnbildlich gesehen sogar notwendig für die zwei Ratten, die als erste die Bühne betreten und sie als letzte nüchtern verlassen; obwohl Ratten auf einem Schiff sich sprichwörtlich anders verhalten. Sind die anderen jetzt tot oder nur todbesoffen? War das letzte Getränk vielleicht sogar Rattengift?

Ich habe dieses Stück von Sibylle Berg – sie hat bisher 12 Romane und 13 Theaterstücke geschrieben, die in 20 Sprachen übersetzt wurden – nicht gelesen und kann daher nicht sagen, wie Regisseur Markus Heinzelmann in dieser Inszenierung Text & Regieanweisungen umgesetzt hat, was er nicht berücksichtigt oder was er hinzugefügt hat. Es gab dazu im DONAUKURIER ziemlich harsche Kritik. Was allerdings von der Moral in einem gewissen Arbeitsumfeld – wer in der Arbeitswelt stand oder steht, weiß auch, nicht nur dort - zu halten ist, kann man aber auf jeden Fall erkennen. Das besudelte Sittenbild ist aussagekräftig genug. Das ist auch den sehr überzeugenden Akteuren im Rampenlicht zu verdanken: Mira Fajfer, Renate Knollmann, Simone Stahlecker, Peter Greif, Peter Reisser, Thomas Schrimm und Enrico Spohn.

Und was denkt sich wohl ein im Publikum sitzender Band- und Schichtarbeiter bei der ganzen Geschichte? Vielleicht empfindet er eine gewisse Genugtuung: Die sind auch nicht besser als wir! Und klatscht dabei höflich Beifall.

Die nächsten Aufführungen im Großen Haus des Ingolstädter Stadttheaters sind für den 14. Februar (19:30 Uhr), 15. Februar (14:00 Uhr), 9. März (19:30 Uhr), 24. März (19:30 Uhr) und 27. März (19:30 Uhr) vorgesehen.
 Anton Potche

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