Montag, 20. Oktober 2014

Ein Übersetzer und sein Autor auf Lesereise

Verlangt die Logik eigentlich nicht eine Umkehr dieser Formulierung: Ein Autor und sein Übersetzer auf Lesereise? Natürlich. Aber hier führt nun mal der Übersetzer die meiste Zeit das Wort. So war es auch bei ihrem Auftritt in der Stadtbücherei Ingolstadt. Der Rumänische Freundeskreis Ingolstadt e.V. hatte zur Lesung geladen und rund 40 Zuhörer wollten den Schriftsteller, Journalisten und Übersetzer Jan Cornelius sowie den Autor Dan Lungu bei ihrer gemeinsamen Lesung erleben. Und sie mussten ihr Kommen nicht bereuen; das sei schon mal vorweggenommen.

Dass bei dieser Lesung der Übersetzer und nicht der Autor überwiegend das Wort führte, ohne dass Letzterer dabei ins Hintertreffen geriet – was wiederum auf ein eingespieltes Duo hindeutete -, ist der simplen Tatsache zuzuschreiben, dass der Autor rumänisch schreibt, die Lesung aber in Deutschland, also vor deutschem Publikum stattfand. Soweit die Theorie. Aber die Veranstaltung verlief dann doch eher nach dem rumänischen Muster „teoria ca teoria, dar practica ne omoară“ (Theorie wie Theorie, aber die Praxis bringt uns um.)

Ramona Trufin, die beherzte Dozentin für Deutsch als Fremdsprache an der Technischen Hochschule Ingolstadt und Vorsitzende des Freundeskreises, sagte einführend, der Schriftsteller und Conferencier für Soziologie an der Universität Alexandru Ioan Cuza in Iași / Jassy, Dan Lungu, sei ihr sogar als Fernsehstar bekannt, und Jan Cornelius zählt ihn zu den „ersten vier, fünf Schriftstellern Rumäniens“. Zum Einstieg in die Lesung, gab der Übersetzer dann auch zuerst dem Autor das Wort, „um die Musikalität der rumänischen Sprache zu vermitteln“.

v .r.: Ramona Trufin,
Dan Lungu, Jan Cornelius
Dass die aber im Auditorium bestens bekannt war, zeigten schon die Reaktionen nach den ersten Sätzen aus dem Roman Sînt o babă comunistă. Man hätte diesen Abend wahrscheinlich auch ohne den Übersetzer bestreiten können. Obwohl die Theorie der Praxis mal wieder eins ausgewischt hatte, kam niemand zu Schaden; im Gegenteil, die sich schnell einstellende Heiterkeit hielt bis zu den anschließenden Diskussionen an. Das war der geschickten Dramaturgie der Lesung zu verdanken. Nachdem das Publikum nämlich bestens mit der Musikalität der rumänischen Sprache vertraut war, übernahm Jan Cornelius die Regie. Er las aus der deutschen Fassung dieses Romans, für die er selber verantwortlich zeichnet und die unter dem Titel Die rote Babuschka 2009 im Residenz Verlag erschienen ist. Dabei zog er den Autor immer wieder ins Gespräch. Ramona Trufin übersetzte simultan für Dan Lungu, der rumänisch antwortete, was wiederum von Jan Cornelius deutsch wiedergegeben und ab und zu auch ergänzt wurde. Das liest sich hier komplizierter, als es in Wirklichkeit war. Diese Mischung aus Lesung und zweisprachigem Dialog hatte eine erfrischende Kurzweiligkeit. Das war natürlich auch dem Roman selber und der deutschen Übersetzung zu verdanken.

Das Buch ist in 29 kurze Kapitel eingeteilt, deren Aufeinanderfolgen wie Filmszenenübergänge wirken. Und sie erzählen vom Leben im rumänischen Kommunismus. Doch weder larmoyant, noch anklagend, aber auch nicht verharmlosend oder gar beschönigend wie die hierzulande oft diskutierte Ostalgie – und das obwohl die Hauptprotagonistin, Emilia Apostoae, von ihrem Leben in der Ceaușescu-Zeit schwärmt. Die Art und Weise, wie sie es aber tut, ist so ulkig, so unschuldig, dass man ihre Nostalgie nur schwer als ernstzunehmendes Systemnachweinen wahrnehmen kann. Es ist eher eine auf meisterhafter Tragikomik beruhende Lächerlichkeitsoffenbarung eines von innen faulenden Gesellschaftssystems.

Was die belustigten Zuhörer – einige von ihnen hatten ihre eigenen Erfahrungen im Rumänien jener Zeit gemacht – bei dieser Lesung in Ingolstadt geboten bekamen, war natürlich ein krasses Kontrastprogramm zu Herta Müller, Richard Wagner, Johann Lippet, Horst Samson, William Totok  und einigen anderen.

Ein Zuhörer meinte dann auch, es wäre ein großes Verdienst des Autors, die für viele so schreckliche Ceaușescu-Diktatur auf diese humorige Art zu schildern. Dan Lungu erzählte darauf sehr bildhaft, wie er als Student der Soziologie auf der Suche nach einer Gewährsperson für ein Studienprojekt auf diese sympathische Moldowenerin gestoßen war. Er wollte die miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen in den rumänischen Fabriken der damaligen Zeit erforschen und war auf die schlimmsten Aussagen vorbereitet. Zu seiner Überraschung erzählte die Frau ihm aber nur, wie toll sie sich damals durch die Mangeljahre geschlagen hätte. Diese Selbstdarstellung in einem immer rosiger werdenden Kommunismus hätte ihn damals zuerst erzürnt, sei aber dann doch in der Gestalt der Emilia einem ganz anderen Zweck, nämlich dem literarischen, zugeführt worden. „Ich schreibe keine politischen, sondern psychologische Romane“, sagte er. Und das mit besonders guten Dialogen, darf man schon bei einem flüchtigen Schmökern durch die Seiten des hier zur Lesung gekommenen Romans sagen.

Wie viel Cornelius in der deutschen Fassung denn wohl stecke, wollte ein Zuhörer wissen. Natürlich sei immer etwas vom Übersetzer in einer anderssprachigen Fassung eines literarischen Werkes, aber er, Cornelius, habe sich alle Mühe gegeben, die Authentizität des Originals wo nur möglich zu bewahren. Er glaube, das sei ihm gelungen, da er selber in Rumänien gelebt, studiert und unterrichtet habe.

Eine gelungene Übersetzung – und das ist die hier vorgestellte, nach den vorgelesenen Passagen und den Reaktionen des Publikums urteilend – ist natürlich für nur deutsch Lesende besonders wichtig. Wer aber noch nicht ganz aus dem Rumänischen heraus ist, der dürfte mit der Originalfassung noch mehr Spaß haben. Da viele bei der Diskussionsrunde spontan in ihre rumänische Muttersprache fielen, könnten auch so manche Exemplare von Sînt o babă comunistă über den reich bestückten Verkaufstisch – auch mit deutschen Originaltiteln von Jan Cornelius – gegangen sein. Dem Übersetzer und seinem Autor, Pardon (übrigens eine Romanfigur), dem Autor und seinem Übersetzer sei es gegönnt.

Mir in dieser Stadt und seinem Umland bekannte Siebenbürger Sachsen oder Banater Schwaben – und das sind nicht wenige – habe ich bei diesem deutsch-rumänischen, Pardon, rumänisch-deutschen Literaturabend nicht gesichtet. Ob auch Personen ohne rumänische Wurzeln im Saal waren, ist mir auch nicht bekannt. Auf jeden Fall hatte ich das Gefühl, dass man auch hier (wie bei den rumäniendeutschen Aussiedlern seit Jahren) mehr unter sich war. Mit dieser Situation wird der erst zwei Jahre alte Rumänische Freundeskreis Ingolstadt e.V. wohl zurechtkommen müssen. Integration in Deutschland bedeutet auch nur ein Nebeneinander und keineswegs ein Miteinander. Und das kennt die deutsche Siedlungsgeschichte in Rumänien nicht anders.

Umso interessierter an dieser Lesung zeigte sich aber dann doch noch eine waschechte Ingolstädterin: Marieluise Fleißer (Foto: Hintergrund). Sie hörte schon aufmerksam hin, als die Protagonisten dieses Abends ihren Auftritt besprachen. 

In der Erzählung Allibert von der Publikumspreisträgerin des Ingeborg-Bachmann-Preises 2014, Gertrud Klemm, fand ich diesen Satz: „Zita versucht, sich auf die Lesung zu konzentrieren, viele sind nicht gekommen, die meisten verausgaben sich bei den wahren Künstlern dieser Stadt, bei den Operettensängern und den pensionierten Schauspielern und Politikern, bei den Blasmusikkapellen und Musikschulkonzerten, bei all denen, die immer schon die Kulturlandschaft der Stadt dominiert haben, […].“
Text & Fotos: Anton Potche

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