Auch an diesem Tag, es war der 27. September 2014, ein
Samstag, hielten die Wolken ihre hartnäckige Stellung über Ingolstadt. Manchmal
scheint es, als hätten sie eine Liebesbeziehung zur Donau. Doch um Punkt 14 Uhr
waren sie weg und die Sonne zeigte sich in bester Herbstlaune über den Dächern
der Stadt.
Genau zur rechten Zeit, denn am Münster zu Unserer Lieben
Frau startete gerade der Volksfestzug anlässlich des 40-sten Herbstfestes, die
Ingolstädter Wiesn, kleiner aber ebenso fein wie die Münchner. Natürlich war
auch ich unterwegs. Und nicht nur ich. Menschen, Menschen und noch mal
Menschen, in den Cafés sitzend oder die Straßen säumend. Allesamt in froher
Erwartung des kommenden Festzuges.
Vereine der Stadt und Region zogen winkend vorbei. Es wurde
zurück gewunken. Man kennt sich noch in dieser Großstadt mit dem noch nicht
ganz verwischten dörflichen Flair. Und Blaskapellen. Mit denen ist die Region reich
gesegnet. Manchmal hatte man als Zuschauer Mühe, den Ursprung eines Marsches auszumachen.
Kommt er von rechts oder ist es schon der von links.
Die bunten heimischen Trachten wurden bereichert von den vor
Jahren hinzugekommenen Festtagskleidern der Vertriebenen und Aussiedler oder
anderen längst hier heimischen Menschen anderer Nationalitäten. Die Egerländer
in ihrem unverkennbaren Braun, die Siebenbürger Sachsen in ihren kunstvoll
bestickten Frauentrachten und die Männer in ihren Pelzen, die Banater Schwaben
in ihrer Kirchweih- und Arbeitstracht – ohne Arbeit kein Feiern -, auch die
Zipser waren dabei; man sah Trachten vom Balkan und eine slowenische
Blaskapelle, die übrigens auch tags zuvor für die Marschmusik beim Einzug der
Festwirte auf’s Herbstfest, die offizielle Bezeichnung der Ingolstädter Wiesn,
verantwortlich war.
Voran schritten natürlich die Honoratioren der Stadt. Früher
waren das laut Wikipedia der Lehrer (Schulmeister), der Pfarrer, der Richter,
der Arzt, der Tierarzt, der Postmeister, der größte Bauer am Ort oder – falls
vorhanden – ein Fabriksbesitzer. Heute sind es meist Politiker.
Weil der Festzug heuer länger als sonst war und auch einen längeren Weg durch die Altstadt
eingeschlagen hatte, geriet er öfter ins Stocken, was den vielen Zuschauern nur
recht war, denn so konnten sie die Trachten in aller Ruhe bestaunen und sich
darüber austauschen. Sie sahen ein lebendes Bild ihrer Heimat, eines noch
überschaubaren Zuhauses für alle, Mitwirkende wie Zuschauer, weit weg von den
Unruhen und Epidemien dieser Welt.
Wirklichkeit oder doch nur Trugbild? Auf dem Heimweg
begegnete ich einem Demonstrationszug. Männer und Frauen aus der Türkei und dem
Orient protestierten gegen die Terrormiliz IS in oder an den Grenzen ihrer
Heimat. Vor dem Café Mohrenkopf knieten sie nieder und
sprachen ihre Gebete oder Losungen in einer mir fremden Sprache. Ich blieb wie
viele Heimfahrer vom Festzug stehen. Meine freudige Gänsehaut von vorhin
verwandelte sich augenblicklicht in ein schüttelfrostähnliches Empfinden.
Diese Menschen sorgen sich um Angehörige, Freunde und
Bekannte in ihren Heimatländern. Ich dachte an die rumäniendeutschen
Trachtengruppen im Volksfestzug. Sie könnten diese Menschen hier, vor allem
Kurden, aber vielleicht auch Angehörige anderer Nationen – Ingolstadts
Migrantenanteil liegt immerhin bei 40 Prozent der Bevölkerung - am besten
verstehen. Heuer vor 25 Jahren saßen sie, die Rumäniendeutschen, in der
Weihnachtszeit vor den Radios und Fernsehern und machten sich in den Wirren der
rumänischen Dezemberrevolution ähnliche Sorgen um Angehörige, Freunde und Bekannte.
Und noch jemand fiel mir ein. Struck, hieß der Mann, Peter
Struck, seines Zeichens Verteidigungsminister von 2002 bis 2005. Er sprach
damals von der Verteidigung Deutschlands am Hindukusch. Und wurde dafür
verhöhnt. Heute stehen wir vor Flüchtlingsströmen bisher unbekannten Ausmaßes
aus dieser Region. Die Menschen in dem Demonstrationszug marschierten gegen den
Terror. Sie riefen auf zu Solidarität im Kampf gegen die IS-Banden. Und so erhoben
sie ihre Stimme auch für unsere Sicherheit, für unser sorgenloses Heimatgefühl.
Auch wenn meine zwei Gänsehäute an diesem Nachmittag stark
kontrastierten, bin ich für beide dankbar. Einmal für das Heimatgefühl und ein
andermal für ein spontan gespürtes Solidaritätsgefühl mit einem Teil der
Migranten in meiner Heimatstadt. Der andere Teil saß im Zelt bei Hähnchen und
Bier oder war auf dem Heimweg wie meine Wenigkeit. Auch die beim Festzug
gesichteten Stadträte waren um diese Zeit im Bierzelt – man kann ja nicht
überall sein. Nur die Ingolstädter Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Eva Bulling-Schröter (auf dem Foto mit
Hund), bekundete im Demonstrationszug ihre Solidarität mit den Demonstranten.
Fotos & Text: Anton Potche
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