Montag, 6. Oktober 2014

Ein Tag der Kontraste in Ingolstadt

Auch an diesem Tag, es war der 27. September 2014, ein Samstag, hielten die Wolken ihre hartnäckige Stellung über Ingolstadt. Manchmal scheint es, als hätten sie eine Liebesbeziehung zur Donau. Doch um Punkt 14 Uhr waren sie weg und die Sonne zeigte sich in bester Herbstlaune über den Dächern der Stadt.

Genau zur rechten Zeit, denn am Münster zu Unserer Lieben Frau startete gerade der Volksfestzug anlässlich des 40-sten Herbstfestes, die Ingolstädter Wiesn, kleiner aber ebenso fein wie die Münchner. Natürlich war auch ich unterwegs. Und nicht nur ich. Menschen, Menschen und noch mal Menschen, in den Cafés sitzend oder die Straßen säumend. Allesamt in froher Erwartung des kommenden Festzuges.

Vereine der Stadt und Region zogen winkend vorbei. Es wurde zurück gewunken. Man kennt sich noch in dieser Großstadt mit dem noch nicht ganz verwischten dörflichen Flair. Und Blaskapellen. Mit denen ist die Region reich gesegnet. Manchmal hatte man als Zuschauer Mühe, den Ursprung eines Marsches auszumachen. Kommt er von rechts oder ist es schon der von links.

Die bunten heimischen Trachten wurden bereichert von den vor Jahren hinzugekommenen Festtagskleidern der Vertriebenen und Aussiedler oder anderen längst hier heimischen Menschen anderer Nationalitäten. Die Egerländer in ihrem unverkennbaren Braun, die Siebenbürger Sachsen in ihren kunstvoll bestickten Frauentrachten und die Männer in ihren Pelzen, die Banater Schwaben in ihrer Kirchweih- und Arbeitstracht – ohne Arbeit kein Feiern -, auch die Zipser waren dabei; man sah Trachten vom Balkan und eine slowenische Blaskapelle, die übrigens auch tags zuvor für die Marschmusik beim Einzug der Festwirte auf’s Herbstfest, die offizielle Bezeichnung der Ingolstädter Wiesn, verantwortlich war.

Voran schritten natürlich die Honoratioren der Stadt. Früher waren das laut Wikipedia der Lehrer (Schulmeister), der Pfarrer, der Richter, der Arzt, der Tierarzt, der Postmeister, der größte Bauer am Ort oder – falls vorhanden – ein Fabriksbesitzer. Heute sind es meist Politiker.

Weil der Festzug heuer länger als sonst war  und auch einen längeren Weg durch die Altstadt eingeschlagen hatte, geriet er öfter ins Stocken, was den vielen Zuschauern nur recht war, denn so konnten sie die Trachten in aller Ruhe bestaunen und sich darüber austauschen. Sie sahen ein lebendes Bild ihrer Heimat, eines noch überschaubaren Zuhauses für alle, Mitwirkende wie Zuschauer, weit weg von den Unruhen und Epidemien dieser Welt.

Wirklichkeit oder doch nur Trugbild? Auf dem Heimweg begegnete ich einem Demonstrationszug. Männer und Frauen aus der Türkei und dem Orient protestierten gegen die Terrormiliz IS in oder an den Grenzen ihrer Heimat. Vor dem Café Mohrenkopf knieten sie nieder und sprachen ihre Gebete oder Losungen in einer mir fremden Sprache. Ich blieb wie viele Heimfahrer vom Festzug stehen. Meine freudige Gänsehaut von vorhin verwandelte sich augenblicklicht in ein schüttelfrostähnliches Empfinden.

Diese Menschen sorgen sich um Angehörige, Freunde und Bekannte in ihren Heimatländern. Ich dachte an die rumäniendeutschen Trachtengruppen im Volksfestzug. Sie könnten diese Menschen hier, vor allem Kurden, aber vielleicht auch Angehörige anderer Nationen – Ingolstadts Migrantenanteil liegt immerhin bei 40 Prozent der Bevölkerung - am besten verstehen. Heuer vor 25 Jahren saßen sie, die Rumäniendeutschen, in der Weihnachtszeit vor den Radios und Fernsehern und machten sich in den Wirren der rumänischen Dezemberrevolution ähnliche Sorgen um Angehörige, Freunde und Bekannte.

Und noch jemand fiel mir ein. Struck, hieß der Mann, Peter Struck, seines Zeichens Verteidigungsminister von 2002 bis 2005. Er sprach damals von der Verteidigung Deutschlands am Hindukusch. Und wurde dafür verhöhnt. Heute stehen wir vor Flüchtlingsströmen bisher unbekannten Ausmaßes aus dieser Region. Die Menschen in dem Demonstrationszug marschierten gegen den Terror. Sie riefen auf zu Solidarität im Kampf gegen die IS-Banden. Und so erhoben sie ihre Stimme auch für unsere Sicherheit, für unser sorgenloses Heimatgefühl.

Auch wenn meine zwei Gänsehäute an diesem Nachmittag stark kontrastierten, bin ich für beide dankbar. Einmal für das Heimatgefühl und ein andermal für ein spontan gespürtes Solidaritätsgefühl mit einem Teil der Migranten in meiner Heimatstadt. Der andere Teil saß im Zelt bei Hähnchen und Bier oder war auf dem Heimweg wie meine Wenigkeit. Auch die beim Festzug gesichteten Stadträte waren um diese Zeit im Bierzelt – man kann ja nicht überall sein. Nur die Ingolstädter Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Eva Bulling-Schröter (auf dem Foto mit Hund), bekundete im Demonstrationszug ihre Solidarität mit den Demonstranten.
Fotos & Text: Anton Potche

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