Johann Lippet: Das
Leben einer Akte – Chronologie einer Bespitzelung durch die Securitate; Verlag
Das Wunderhorn, 2009; ISBN: 978-3-88423-331-3; 158 Seiten; 18,90 Euro.
Man liest gewöhnlich Romane, Erzählungen, Gedichte, seltener
Theaterstücke, aber auch Bio- und Autobiographien, natürlich auch Märchen (oft
im Opa-Alter mehr als im Kindesalter) und ab und zu vielleicht auch ein
Sachbuch mit mehr oder weniger Gewinn. Ganz selten dürfte aber die Chronologie einer Bespitzelung zum persönlichen Kanon gehören.
Der aus dem rumänischen Banat stammende Schriftsteller Johann Lippet (*1951) hat eine solche
Bespitzelungschronologie verfasst. Er ist zu diesem Zweck nach Bukarest
gefahren und hat seine Securitate-Akte beim Sitz der CNSAS (Consiliul Naţional
pentru Studiul Archivelor Securităţii – Nationalrat zum Studium der
Securitate-Archive) eingesehen.
Das Resultat ist ein rotes Buch im wahrsten Sinne des
Wortes. Rot, die Farbe des Einbandes, war die Farbe des Kommunismus. Rot sieht
man aber auch, wenn man eine Gefahr wittert oder in Rage gerät ob der ein oder
anderen Erkenntnis. Und rot kann man aus Scham werden. Aber am allerwenigsten
werden das wohl die Spitzel selber. Die Realität hat nämlich gezeigt, dass die
Dreistigkeit eines Securitatezuträgers, den Bespitzelten per Gerichtsurteil den
Mund verbieten zu lassen, durchaus zum Erfolg führen kann. Wohlgemerkt: in
Deutschland – nicht in Rumänien! Was kann deutlicher für die Amoralität dieser
Typen sprechen? Wer mit einem so schamlosen Unrechtsbewusstsein herumläuft, dem
ist natürlich alles, aber wirklich auch alles zuzutrauen. Johann Lippet muss diese Gefahr schon vor 2009, als die
bürgerlichen Namen einiger rumäniendeutscher Securitatespitzel in den
bundesdeutschen Medien auftauchten, erkannt haben. Seine Chronologie ist zwar
in jenem Jahr erschienen, aber die im Anhang des Buches abgelichteten Akten
tragen den Stempel des Einsichtdatums: C.N.S.A.S., 14 MAR 2008.
Demzufolge widerfährt keinem der glorreichen Spitzel, die da
als Dieter, Max, Voicu, Walter, Puiu, Sandu, Tiberiu, Mayer, Nelu, Sanda,
Barbu, Karina, Ionescu, Eva, Robert, Petrică, Gabriela, Miguel, Cristina (die
Übersehenen werden es mir hoffentlich nachsehen) firmieren, die Ehre, mit ihrem
bürgerlichen Namen, mit dem sie uns auch heute vielleicht freundlich begegnen,
genannt zu werden. Das mag aber nicht nur an der Vorsicht des Autors liegen,
sondern entspricht eigentlich dem sehr schlichten Ton der gesamten Chronologie.
Lippet analysiert nicht, hadert
nicht mit seinem Schicksal, verteilt seinen Spitzelfreunden keine Noten,
sondern schildert und zitiert cool über die und aus den 360 Seiten
Spitzelberichten und den daraus folgenden Securitatemaßnahmen sowie den 163
Seiten Abhörprotokollen.
Einen Seitenhieb konnte er sich dann aber doch nicht
verkneifen. Und der hat mit den Spitzelmädchen und –buben eigentlich gar nichts
zu tun. In einem Anhang zum 5. Kapitel, Wesen
des Inhalts, ist der Leserbrief des damals in Köln lebenden und aus
Siebenbürgen stammenden Schriftstellers Ingmar
Brantsch (1940 - 2013) an die Zeitschrift die feder abgedruckt. Dieser
hat darin die 1986 erfolgte Aufnahme – sie war als Schutzmaßnahme gedacht – von
Herta Müller, Richard Wagner, William
Totok und Johann Lippet in den
deutschen Verband der Schriftsteller (VS) durchaus kritisch gesehen.
Ich habe dieses Buch mit viel Erkenntnisgewinn gelesen. Und
doch lege ich es mit einem faden Beigeschmack zur Seite. Man kann sich nämlich
auf der vorletzten Seite des Buches auch folgenden Absatz zu Gemüte führen:
„Als ich von meiner Absicht erzählte, Einsicht in meine Akte zu beantragen,
meinte so mancher Bekannte aus Rumänien, ich hätte doch gewußt, daß ich
bespitzelt wurde. Was ich mir denn von dieser Einsicht verspreche? Und
letztendlich sei ich doch nicht zu Schaden gekommen. Wer so argumentiert, hat nichts
begriffen oder spielt, aus welchen Gründen auch immer, die Gefahr herunter, in
der sich ein Bespitzelter befand, und den psychischen Terror, dem er ausgesetzt
war.“
Das erinnert mich an ähnliche Reaktionen von Menschen aus
meinem Umfeld, als ich in jenen Jahren das Securitate-Thema ansprach. Und das
stimmt mich heute, wo längst Gras über diese Zeit gewachsen ist, noch immer
traurig.
Anton Potche
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen