Montag, 8. September 2014

Erkenntnisgewinn mit fadem Beigeschmack

Johann Lippet: Das Leben einer Akte – Chronologie einer Bespitzelung durch die Securitate; Verlag Das Wunderhorn, 2009; ISBN: 978-3-88423-331-3; 158 Seiten; 18,90 Euro.

Man liest gewöhnlich Romane, Erzählungen, Gedichte, seltener Theaterstücke, aber auch Bio- und Autobiographien, natürlich auch Märchen (oft im Opa-Alter mehr als im Kindesalter) und ab und zu vielleicht auch ein Sachbuch mit mehr oder weniger Gewinn. Ganz selten dürfte aber die Chronologie einer Bespitzelung zum persönlichen Kanon gehören.

Der aus dem rumänischen Banat stammende Schriftsteller Johann Lippet (*1951) hat eine solche Bespitzelungschronologie verfasst. Er ist zu diesem Zweck nach Bukarest gefahren und hat seine Securitate-Akte beim Sitz der CNSAS (Consiliul Naţional pentru Studiul Archivelor Securităţii – Nationalrat zum Studium der Securitate-Archive) eingesehen.

Das Resultat ist ein rotes Buch im wahrsten Sinne des Wortes. Rot, die Farbe des Einbandes, war die Farbe des Kommunismus. Rot sieht man aber auch, wenn man eine Gefahr wittert oder in Rage gerät ob der ein oder anderen Erkenntnis. Und rot kann man aus Scham werden. Aber am allerwenigsten werden das wohl die Spitzel selber. Die Realität hat nämlich gezeigt, dass die Dreistigkeit eines Securitatezuträgers, den Bespitzelten per Gerichtsurteil den Mund verbieten zu lassen, durchaus zum Erfolg führen kann. Wohlgemerkt: in Deutschland – nicht in Rumänien! Was kann deutlicher für die Amoralität dieser Typen sprechen? Wer mit einem so schamlosen Unrechtsbewusstsein herumläuft, dem ist natürlich alles, aber wirklich auch alles zuzutrauen. Johann Lippet muss diese Gefahr schon vor 2009, als die bürgerlichen Namen einiger rumäniendeutscher Securitatespitzel in den bundesdeutschen Medien auftauchten, erkannt haben. Seine Chronologie ist zwar in jenem Jahr erschienen, aber die im Anhang des Buches abgelichteten Akten tragen den Stempel des Einsichtdatums: C.N.S.A.S., 14 MAR 2008.

Demzufolge widerfährt keinem der glorreichen Spitzel, die da als Dieter, Max, Voicu, Walter, Puiu, Sandu, Tiberiu, Mayer, Nelu, Sanda, Barbu, Karina, Ionescu, Eva, Robert, Petrică, Gabriela, Miguel, Cristina (die Übersehenen werden es mir hoffentlich nachsehen) firmieren, die Ehre, mit ihrem bürgerlichen Namen, mit dem sie uns auch heute vielleicht freundlich begegnen, genannt zu werden. Das mag aber nicht nur an der Vorsicht des Autors liegen, sondern entspricht eigentlich dem sehr schlichten Ton der gesamten Chronologie. Lippet analysiert nicht, hadert nicht mit seinem Schicksal, verteilt seinen Spitzelfreunden keine Noten, sondern schildert und zitiert cool über die und aus den 360 Seiten Spitzelberichten und den daraus folgenden Securitatemaßnahmen sowie den 163 Seiten Abhörprotokollen.

Einen Seitenhieb konnte er sich dann aber doch nicht verkneifen. Und der hat mit den Spitzelmädchen und –buben eigentlich gar nichts zu tun. In einem Anhang zum 5. Kapitel, Wesen des Inhalts, ist der Leserbrief des damals in Köln lebenden und aus Siebenbürgen stammenden Schriftstellers Ingmar Brantsch (1940 - 2013) an die Zeitschrift die feder abgedruckt. Dieser hat darin die 1986 erfolgte Aufnahme – sie war als Schutzmaßnahme gedacht – von Herta Müller, Richard Wagner, William Totok und Johann Lippet in den deutschen Verband der Schriftsteller (VS) durchaus kritisch gesehen.

Ich habe dieses Buch mit viel Erkenntnisgewinn gelesen. Und doch lege ich es mit einem faden Beigeschmack zur Seite. Man kann sich nämlich auf der vorletzten Seite des Buches auch folgenden Absatz zu Gemüte führen: „Als ich von meiner Absicht erzählte, Einsicht in meine Akte zu beantragen, meinte so mancher Bekannte aus Rumänien, ich hätte doch gewußt, daß ich bespitzelt wurde. Was ich mir denn von dieser Einsicht verspreche? Und letztendlich sei ich doch nicht zu Schaden gekommen. Wer so argumentiert, hat nichts begriffen oder spielt, aus welchen Gründen auch immer, die Gefahr herunter, in der sich ein Bespitzelter befand, und den psychischen Terror, dem er ausgesetzt war.“

Das erinnert mich an ähnliche Reaktionen von Menschen aus meinem Umfeld, als ich in jenen Jahren das Securitate-Thema ansprach. Und das stimmt mich heute, wo längst Gras über diese Zeit gewachsen ist, noch immer traurig.
Anton Potche 

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