Die eine Trompete erklang zum Auftakt und die andere zum
Ausklang. Die in Ingolstadt traditionelle OrgelMatinee um Zwölf erlebte am 27.
April 2014 ihr erstes Konzert in dieser Saison und schon am Sonntag danach (4.
Mai 2014) stand ein Orgel-Trompetenkonzert auf dem Programm, ein etwas
verspäteter Auftakt, könnte man sagen. Und das darf man sogar wörtlich nehmen,
denn dieses Konzert in der Asamkirche Maria de Victoria, begann nicht wie
üblich um 12:00 Uhr, sondern wegen einer vorherigen Veranstaltung um eine halbe
Stunde später. Der neue Termin war aber vorzeitig angekündigt und wirkte sich
auf die Qualität des Konzertes nicht aus.
Und die war, das darf man ruhig so vorwegnehmen, gut. Der
Organist Christian Ledl und der
Trompeter Hans-Paul Fuss hatten ein
abwechslungsreiches Programm gewählt. Mit Dietrich
Buxtehudes (1636 -1707) Toccata F-Dur
BuxWV 157 eröffnete der Organist, Chorleiter und Musiklehrer an zwei
Schulen das Konzert
an der Jann-Orgel (gebaut 1986). Laufwerk und Akkordschläge sind typisch für
diese Musikart. Buxtehude war selbst
ein virtuoser Orgelspieler und hat dementsprechend die technische Messlatte in
seinen Kompositionen ziemlich hoch gelegt. In diesem Stück hat der Ingolstädter
Musiker die Hürde bravourös genommen.
Es folgte die Sonata
d-Moll für Trompete und Orgel von Roberto
Valentino (1680 – 1753), ein Stück mit vier sehr kurzen Sätzen Adagio – Allegro – Adagio - Allegro (Video auf YouTube).
Trotzdem stellt das Stück hohe Ansprüche an den Ansatz des Trompeters. Es ist
nicht einfach, von den getragenen, oft mit geringer Lautstärke und besonderen
Vortragsansprüchen aber auch –freiheiten gekennzeichneten Adagio-Sätzen in die
fulminanten, mit schwierigen Läufen bestückten Allegros zu wechseln. Bei Hans-Paul Fuss vernahm man dann auch
gerade in diesen technisch sehr schwierigen Passagen ganz leichte
Tonschwankungen. Meist gelang es ihm aber in Sekundenbruchteilen, den Ton nach
einem Sechzehntellauf in die richtige Lage zu bringen. Umso schöner vielen aber
die langsamen Sätze aus. Hier konnte der Lehrer für Trompete, Akkordeon,
Keyboard, Blockflöte auf seiner Piccolo-Trompete nach Herzenslust gestalten.
Das zweite Orgelstück war eine Komposition des Engländers John Stanley (1712 – 1786). Für mich
war das eine Premiere, da ich bis dahin Orgelmusik ohne Pedal nicht kannte. Das
klingt so ein bisschen nach Bajan, der osteuropäische
Form des Chromatischen Knopfakkordeons. Voluntary ist auch ein spezifisch englisches
Musikgenre. Eine ziemlich verspielte Musik, war das, die da von der Empore in
den Kirchenraum schwebte. Ein wirklich filigranes, zum Teil liebliches Thema
wurde von manchmal recht schrägen ¼ Akkordstößen gestört, um dann immer wieder
unbeeindruckt weiter zu perlen. Es war schon ein interessantes Musikerlebnis,
was Christian Ledl den Zuhörern da geboten
hat.
Als viertes und
letztes Konzertstück spielten die zwei Ingolstädter Musiker das Concerto B-Dur für Trompete und Orgel op.
7/3 von Tomaso Albinoni (1671 –
1751). Das Dreisatz-Stück ist nun wahrlich keine Neuentdeckung für Besucher von
Kirchenkonzerten, zumal Albinoni zu
den oft gespielten Komponisten dieser Konzertausrichtungen gehört.
Dementsprechend sicher agierten auch Christian
Ledl und Hans-Paul Fuss, die mit lebhaftem
Applaus von dem zahlreichen Publikum (lediglich zwei Bankreihen waren nicht
voll besetzt) verabschiedet wurden.
♪ ♫ ♪
Nur einen Tag später fand in Ingolstadt ein Ausklang statt.
Der Konzertverein Ingolstadt, eine seit 97 Jahren aktive Institution, die
Weltklassekünstler in die Donaustadt lotst, beendete am Montag, 5. Mai 2014
seine Konzertsaison 2014/15 - auch mit Trompetenklängen. Und dazu hatte man
sich mit aller höchster Güte klassischer Musik begnügt: Gábor Boldoczki, Trompete und Gergely
Bogányi, Klavier.
Das Programm der zwei Künstler von Weltformat war eine
Mischung aus Musik des 19. Jahrhunderts und der Moderne des 20. Jahrhunderts.
Dass vom quantitativen Aufwand her auch hier das Klavier den größeren Part
übernommen hatte, liegt in der unterschiedlichen, vom jeweiligen Instrument
bedingten Belastbarkeit der beiden Interpreten. Es ging los mit dem Konzert für Trompete und Klavier in Es-Dur,
op.12 von Vassily Brandt (1869 –
1923), ein russischer Komponist. Fulminant – elegisch – grandios. Man könnte
sich ruhig die eine oder andere Superlative noch einfallen lassen. Es folgten
zwei Werke von Frédéric Chopin (1810
– 1849). Und sofort war klar, dass hier nicht nur ein Trompetenbegleiter am
Klavier saß, sondern ein Weltstar seines Instruments. Mit Ballade Nr 1 in g- Moll, op. 23 – sie strahlte ziemlich viel
Düsterkeit aus – Nocturne in Es-Dur op.
55 Nr.2 – wer sich eine aufsteigende Mondsichel über einem sich zur Ruhe
begebenden Dorf vorstellen kann, ist mit diesem wunderschönen Musikstück gut
bedient – stellte der ungarische Klaviervirtuose, der laut Programmheft 2010
„in Budapest das gesamte Solorepertoire Chopins in zwei Tagen“ gespielt hat,
seine Klasse unter Beweis. Klar, Gergely
Bogányi war hier in seinem Element. Für die Zuhörer ein Ohrenschmaus.
(Warum eine Dame hinter mir gerade dann einen Bonbon mit dem dazugehören
Rascheleffekt aus seiner Verpackung lösen musste, bleibt ihr Geheimnis.)
Après un rêve heißt
das Stück von Gabriel Fauré (1845 –
1924). Der Trompeter war wieder da – doch als Flügelhornist. Zu diesem kleinen
aber sehr feinen Stück kann nichts besser passen als der samtweiche Ton auf dem
Flügelhorn des Professors für Trompete an der Franz List Musikakademie in
Budapest, Gábor Boldoczki. Es folgte
Franz Liszt (1811 – 1886): Un Sospiro und Gnomenreigen. Kurios, beim ersten Stück spukte mir plötzlich die
Winnetou-Melodie im Kopf herum. (Ob Martin
Böttcher diese sympathische Liszt-Komposition mal gehört hat?) Beim Tanz
der kleinen Kobolde tanzten danach natürlich auch die Finger Gergely Bogányi mit einer Leichtigkeit über
die Klaviatur, dass es selbst dem Instrument Spaß zu bereiten schien. Und dem
Klaviervirtuosen sowieso, denn er war schon auf dem Weg in die Kulissen, als
der letzte Reigenton noch gar nicht verklungen war. Ein gelungener Gag für
dieses lustige Stück. Um eine spur seriöser, aber nicht weniger virtuos ging es
im folgenden Konzert für Trompete und
Klavier in f-Moll op. 18 von Oskar
Böhme (1870 – 1938) zu. Man weiß ja, dass komponierende Instrumentisten es
oft gerade ihren Bläserkollegen nicht leicht machen. So auch hier. Oskar Böhme blies selbst die Trompete
in Orchestern erster Güteklasse. Gábor
Boldoczki brachte er aber nicht in Verlegenheit. Der brillierte lustig
drauflos – mit Läufen, Trillern, Triple Staccatos und was es sonst noch an
Feinkost für virtuose Bläserliteratur gibt.
Nach der Pause kam Gábor
Boldoczki allein auf die Bühne des Festsaales. Also mit seiner Trompete. Und
mit seinem Instrument ist ein Weltstar wie der Ungar nie allein. Er erzählt mit
ihm, bringt es zum Lachen und Seufzen – ich wurde an Gheorghe Zamfir oder Simion
Stanciu und ihre Panflöten erinnert – und entlockt ihm die artfremdesten
Töne. Die Fanfare aus „Solus“ für Trompete
solo wurde anscheinend von Stanley
Friedman (*1951) – übrigens auch ein Trompeter – nur komponiert, um der
Welt zu zeigen, was man aus diesem Instrument überhaupt alles herausholen kann.
Jetzt wissen es auch die Konzertbesucher in Ingolstadt. Dann kam Franz Liszt, Pardon Gergely Bogányi, wieder. Wenn man nicht
nur wie Liszt spielt, sondern sich
auch so kleidet, frisiert und sogar noch ähnliche Gesichtszüge vorweisen kann,
dann hat man zumindest bei den Frauen noch einen Zusatznagel zu seiner
Klavierkunst im Brett. Genau das macht Gergely
Bogányi. Die mittlere bis ältere Generation stellte auch in diesem Konzert
die klare Mehrheit. Wo waren die vielen Studenten und Studentinnen – sie zahlen
angeblich nur 4 Euro für eine Karte, ich musste 20 hinblättern – an diesem
Abend. Besonders Letztere haben da was versäumt. Bogányi spielte eine Rigoletto
Paraphrase. So kann man sich Liszt
auf seinen ausgiebigen Europatourneen wirklich vorstellen. Ein bisschen
Fantasie und schon sitzt man in der musikalischen Zeitmaschine, zurück ins 19.
Jahrhundert.
Was folgte, war ein eher selten gespieltes Stück – was nicht
heißt, dass nicht (lebende) Legenden wie Wynton Marsalis, mit Judith Lynn Stillman am Klavier, sich dieses Enescu-Kleinods schon angenommen
hätten. Man hat von George
Enescu (1881 – 1955) auch nicht unbedingt erwartet, dass er ein Stück für
die Trompete schreibt. Schließlich war er ja „nur“ Geiger, aber immerhin einer
der besten seiner Zeit. Wie es auch sei, Legende
für Trompete und Klavier erinnert mit nichts an den Einfluss der
rumänischen Volksmusik, mit der man George
Enescu so gerne (zu Recht, aber leider zu oft auch abwertend) in Verbindung
bringt. Bis auf den Schluss. Dann griff Gábor
Boldoczki nämlich zum Dämpfer
und schon war sie da, die legendäre mioritische Welt der Karpaten, die niemand
kennt, aber so Viele zu fühlen glauben. (Ich zähle mich gerne zu diesen
Unverbesserlichen, die bei einer Doina aus dem Taragot eines Dumitru Fărcaş oder Pavel Cebzan einfach mal innehalten und
hoffen, es würde nie aufhören.)
Mit dem sterbenden Trompetenton war die
vergangenheitsträchtige Gegenwart wieder da. Gergely Bogányi spielte mit passender Gestik Sonetto 123 del Petrarca. Gefühl pur dieses Andante. Gute Konzerte
leben auch von ihren Gegensätzen im Programmaufbau. Bei der Fantasie für Trompete und Klavier von
dem ungarischen Landsmann der zwei Protagonisten dieses Konzertes, Frigyes Hidas (1928 – 2007),
komponiert, war dann spontan wieder Schluss mit einer eventuellen Träumerei.
Virtuosität und sogar Jazzelemente waren angesagt und Gábor Boldoczki steigerte sich zu Höchstform.
Es gab Blumen zum Konzertende und stürmischen Applaus. „Wir
haben so viel gespielt und noch nicht gesprochen“, wendete sich Gábor Boldoczki in einwandfreiem
Deutsch ans Publikum und kündete eine Zugabe an, eine Bearbeitung seines
ehemaligen Lehrers Frigyes Hidas.
Und spätestens jetzt konnte niemand mehr im sehr gut besetzten Saal behaupten,
er hätte an diesem Abend kein bekanntes Stück gehört. „Mei Hut der hot drei
Ecke“ (aus Karneval in Venedig) spielten
wir früher auch immer auf den Banater Bühnen – nur ohne die hörsinnbetörenden
Variationen eines Gábor Boldoczki.
Anton Potche
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