Montag, 26. Mai 2014

Man erinnert sich auch dort noch

Der Journalist Virgil Lazar schreibt in einem kurzen Artikel in der ROMÂNIA LIBERĂ (11. Oktober 2013) über die Volksdichtung im Banat. Er erinnert sich an einen Besuch des aus der Orawitzaer Gegend stammenden Bauernschriftstellers Ioan Românul in der Temeswarer Filiale des Rumänischen Schriftstellerverbandes. Im Büro des schon damals berühmten Banater Schriftstellers Mircea Şerbănescu (1919 – 2012) spielte sich dann folgende von Lazar genüsslich geschilderte Szene ab: Er trug im Arm einen Quersack, in dem er ein Manuskript mit einer Geschichte aus der Welt seines Dorfes, aber auch eine Flasche mit Schnaps verstaut hatte. Dann legte er, vorsichtig wie bei einem Ritual, rote Zwiebel und ein ansehnliches Stück Speck neben frisches Brot aus dem Backofen auf den Tisch. ‚Das alles, sagte er mit sanfter Stimme, ‚damit der Inhalt des Manuskripts den Kritikern nicht schwer auf den Magen schlägt. Die Geschichte sollte abends im Literaturkreis vorgetragen werden.“ Frankfurter Verhältnisse in ruraler Aura, das gab es schon in den 50er Jahren in Rumänien.

Dieser „paur“ (Bauer) Ioan Românul war kein Einzelfall im Banat. Virgil Lazar schreibt von „vielen Bauern, große Bücherfreunde, die in ihren Häusern wahre Bibliotheken angesammelt hatten“. Natürlich hat die eine oder andere Anekdote aus dem literarischen Dorfleben des Banats überlebt. So soll Rumäniens Nationaldichter Mihai Eminescu (1850 - 1889) als Schauspieler der wandernden Schauspieltruppe des legendären rumänischen Schauspielers, Regisseurs, Theaterdirektors, Professors, Übersetzers, Dramaturgs und Publizisten Mihail Paskaly (1830 – 1882) im Haus der Eltern Iulian Grozescus (1830 - 1872) in Großkomlosch / Comloşu Mare übernachtet haben. Später, als Grozescu Redakteur der Kulturzeitschrift Familia des Iosif Vulcan (1841 - 1907) war, debütierte in eben diesem Blatt Eminescu mit dem Gedicht De-aş avea (Wenn ich doch hätte). Es soll aus jenen fernen Zeiten noch ein „Liliputgedichtbändchen“ mit Gedichten von Eminescu im Dorf existieren.

Das „Phänomen“ der Bauerndichter war laut Gabriel Ţepelea (1916 - 2012) aber spezifisch für das Banat, also in anderen rumänischen Landesteilen so nicht anzutreffen. Auch Camil Petrescu (1894 - 1957) hatte eine hohe Meinung von der Dorfliteratur im Banat. Er wird mit der Aussage zitiert: „Die Banater haben einen großartigen Kunstsinn.“ Dazu gehören natürlich auch die deutschen Mundartautoren. Man könnte aus heutiger Sicht sogar sagen, besonders sie. Denn wenn man die banatschwäbische Mundartliteratur betrachtet, dann kommt man doch auf eine erhebliche Anzahl von Autoren und Werken, wenn auch nicht alle Buchveröffentlichungen vorweisen können.

Virgil Lazar erwähnt, stellvertretend für viele, den „Großkomloscher“ Mundartautor Michael Holinger. Der soll Lustspiele wie „Hanz al nostru”, ,,Pentru o nimica toată“, „Schimbul doi“ geschrieben haben. Gemeint ist natürlich Michael Holzinger (1920 – 1996) aus Ostern, dessen bekanntestes Laienspiel „Unsr Hansi“ ist. Wie auch immer, schön ist, dass man sich in Rumänien auch einer längst untergegangenen deutschen dörflichen Literaturlandschaft erinnert.

Dass es dabei aber nicht allein um eine Dialektliteratur geht, sondern um eine viel reichere literarische Ernte, die der „fruchtbaren Welt des Banater Dorfes“ entsprungen ist, weiß mittlerweile die gesamte literarische Welt. So fällt auch in diesem Artikel dann zum Schluss der Name Herta Müller, deren Bücher „die besondere Atmosphäre dieser Region evozieren“. 

Freilich freut man sich als Banater Schwabe, wenn man solche Artikel in der rumänischen Presse findet. Mehr noch, man denkt instinktiv zurück, und es fällt einem auch der ein oder andere Name ein. Als Jahrmarkter dachte ich zum Beispiel sofort an Marianne Ebner (1920 - 2007), Franz Frombach (1929 - 1999) und Katharina Kilzer (*1959).
Anton Potche

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