Zu einer meiner Lieblingsgewohnheiten gehört seit vielen
Jahren der Besuch in der Ingolstädter Stadtbibliothek. Dieser Besuch im
altehrwürdigen Herzogskasten gilt den vielen Zeitungen und Büchern, in denen
man dort (meistens) ungestört schmökern kann. Oft ist das auch bei einer Tasse
Kaffee oder Tee möglich und auch einer kleinen Süßigkeit darf man dabei
erliegen oder sich einen Snack gönnen. Ja sogar ein warmes Mittagessen bieten
die stets netten Damen im insel-café, das ins Lesefoyer
inkludiert, also eingeschlossen ist, den Leseratten an. Die Lesesäle sind in
den oberen Stockwerken untergebracht.
Bücherei im Herzogskasten |
Ich saß auch an diesem Freitagnachmittag an einem der Tische
und sah die Tageszeitungen durch. Eine Tasse Kaffee hatte ich mir auch gegönnt.
Also wie immer, könnte man sagen. Und doch nicht. Das wurde mir bewusst, als
eine nette Dame plötzlich mit einem Tablett neben mir stand und mir verführerisch
aussehende Snacks anbot. Natürlich konnte ich nicht widerstehen, griff zu und
fragte nach der Ursache. Hier findet gleich eine Vernissage statt, klärte die
Frau mich auf. Ich fühlte mich (angenehm) überrumpelt und lief nicht weg. Zum
Glück hatte ich meinen Fotoapparat auch dabei. Die Bilder an den Wänden wurden
ausgewechselt, erfuhr ich. Ja, wirklich. Vor einer Woche hingen noch andere da.
Ich schämte mich fast, das nicht bemerkt zu haben, wo ich doch schon oft vor dem
einen oder anderen dort ausgestellten Bild stand und es betrachtete. Dieses
Lesefoyer dient nämlich schon seit Jahren auch als Ausstellungsraum.
Fotos: Anton Delagiarmata |
Kunst. Naiv. Tiefgründig. Unergründbar. Kindlich. An große
Meister erinnernd. Anstoßend. Anziehend. Zum Nachdenken anrührend. Bilder
gemahlt von psychisch Kranken Menschen, Menschen wie die aus dem insel-café, die
mir seit Jahren freundlich einen Kaffee kredenzen und mir meine
Schmökerleidenschaft versüßen. Sie alle, Cafépersonal und Künstler, sind
Menschen, die vom insel - Förderverein für psychisch kranke Menschen e.V. durchs Leben begleitet werden.
Dieser Verein wurde laut eigener Homepage 1987 „von
Angehörigen, Betroffenen und Profis“ gegründet und hat „sich zur Aufgabe gemacht Anstöße zur Verbesserung der Lebensqualität
psychisch kranker Menschen in Ingolstadt und der Region zu geben.“ Der Verein
wird von einem Vorstand geleitet, dem Frau Inge
Kunze Bechstädt vorsteht. Er hat „Betreutes Wohnen als pauschale Leistung
mit unterschiedlich intensiven Betreuungsschlüsseln“, eine „Tagesstätte mit
zwei Häusern“ und „die Möglichkeit zur Teilhabe am Arbeitsleben“ im Angebot.
Und noch viel mehr. Das hat diese
Vernissage gezeigt: nämlich die Teilnahme psychisch kranker Menschen am
öffentlichen Leben mittels der Kunst. Herr Robert
M. Bechstätd, der die neue Ausstellungsserie vorstellte– sie wird
vierteljährlich gewechselt –, wusste von der Freude zu berichten, die auch
psychisch kranke Künstler empfinden, wenn ihnen gewahr wird, dass ihre Arbeiten
ein dankbares Publikum finden. Was hier geschehe, sei ein Akt der Inklusion,
des Teilhabens am gesellschaftlichen Leben. Das hat natürlich auch einen
praktischen Aspekt: Man kann diese Bilder erwerben und trägt so zu einem
Stückchen Normalität im Leben dieser gehandikapten Künstler bei. Näheres dazu
erfährt man bei den Angestellten es insel-cafés.
Man kann eine Stadtbibliothek
eigentlich nur mit Gewinn verlassen. (Es sei denn man sucht etwas Bestimmtes
und findet es nicht, was auf einen Schmöker ja nicht zutrifft.) An diesem
Freitagnachmittag des schneelosen Januars 2014, draußen war es schon dunkel,
verließ ich die Stadtbibliothek Ingolstadt mit doppeltem Gewinn.
Anton Potche
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