Ich will es ihnen ja gerne glauben, dem Karl Müller, genannt Kaschi,
und dem Herbert Roth; schon aus
Respekt vor dem Alter, denn ihr Wanderlied ist älter als ich. Und die erste
Zeile spricht mir wirklich aus dem Herzen: „Ich wand're ja so gerne“. Aber an
diesem Oktobertag wollte sich von der Botschaft des Rennsteigliedes so gut wie nichts erfüllen, zumindest was die
äußeren Umstände anbelangt. „Vöglein sangen [keine] Lieder“ und vom Rasten,
„wenn die Sonne / So glutrot untergeht“, konnte keine Rede sein. Ein
hartnäckiger Nebel wollte uns zeigen, dass der Rennsteig nicht nur ein
Wanderliedgesicht hat.
Und trotzdem kann ich Texter und Komponist verstehen, wenn
sie vom „schönsten Plätzchen dieser Welt“ schwärmen. Wir hatten den historischen
Sprungschanzenweg über die Oberhofer Bobbahn genommen, weil auch die Sportschihalle
auf diesem Weg lag, und waren am Grenzadler auf den Rennsteig gestoßen. Fast
170 km lang ist dieser Kammweg von Eisenach nach Blankenstein. Und wenn es
heißt, er wäre der meist bewanderte Weg Deutschlands, dann will ich das gerne
glauben: Die Strecke, die wir bewältigten (weniger als 170 km), hatte einen
parkartigen Weg, es gibt keine steilen Anhöhen und die Ruhe in diesen gefühlt
unendlichen Wäldern, generiert ein Gefühl des Einswerdens mit der Natur – auch
wenn ein Oktobertag nicht vom Golde verwöhnt ist.
Dass dieser Weg schon seit Menschengedenken, als man von
touristischer Erschließung noch nichts wusste, von Einheimischen rege genutzt
wurde, beweisen die zahlreichen Steine, denen man begegnet. Grenzsteine sollen
sie gewesen sein. Es gab nun mal jene Zeiten, in denen in unserer deutschen
Lande viele, viele eigene Süppchen gekocht wurden.
Natürlich ist auf so einem Weg auch viel passiert, Lustiges
und Bedauernswertes. Der Rennsteig hat seine geschichtlichen und literarischen
Helden. Man trifft auf Tafeln, die von Geschehnissen vergangener Zeiten
berichten. Und wenn man sich die Zeit nimmt und sie liest, spürt man nicht nur
den Wind in den Wipfeln sondern auch den Hauch der Geschichte, der über das
Mittelgebirge weht. Der Dietzel von Geba wurde hier hingerichtet. Er hat einen
Weinhändler überfallen. „Drauf nächtlicher Weise im Waldesgewirr, / da fand man
den Fuhrmann mit Karrn und Geschirr; / der Dietzel von Geba, das Fässchen im
Schoß, / lag schnarchend und sinnlos berauscht im Moos.“ (Heinrich Jäger) Anno
1498 soll es gewesen sein.
Taten, große Taten, zeitgeschichtliche Taten sind aus der
Urzeit der SBZ (Sowjetische Besatzungszone) überliefert. An einem Denkmal am
Wegesrand kann man lesen: „Dieses Denkmal wurde 1981 zu ehren zehntausender
Waldarbeiterinnen und Waldarbeiter, freiwilliger Helfer sowie sowjetischer
Soldaten errichtet, die nach dem Windbruch von 1946 und den Borkenkäferjahren
1947–49 den mittleren Thüringer Wald retteten.“
Auch so manches Naturdenkmal säumt den Rennsteig. Ein sehr
sehenswertes ist der Rennsteiggarten bei Oberhof. Wer Pflanzen aus anderen
Regionen der Erde sehen will, sollte hier vorbeischauen. In Reisebroschüren wird
er als „artenreichster Alpingarten Deutschlands“ gepriesen.
♠ ♣ ♠
Wer nun den Eindruck gewonnen haben sollte, dass der
Thüringer Wald ein und derselbe mit dem Rennsteig ist, der liegt zum Glück
falsch. Zwei Tage später zeigte sich der Herbst wieder von seiner goldenen
Seite. Wir schnürten die Wanderschuhe, schulterten den Rucksack und brachen
auf: Die Ohratalsperre wollten wir sehen, ein riesiges Trinkwasserreservoire,
von dem ca. 400.000 Menschen leben. Gebaut wurde sie in den 1960er Jahren:
DDR-Zeit. Ob es Widerstände aus der Bevölkerung gab, konnte ich nicht in
Erfahrung bringen. 20 Wohnhäuser, ein Sägewerk und eine Kesselschmiede vielen
der in mehrere Seitentäler verzweigten Talsperre zum Opfer. Ein jähes Ende am
Wasser fand dann auch die Straße von Oberhof nach Luisenthal.
Auf dieser ehemaligen Straße, der man noch ansieht, dass sie
in vergangenen Zeiten von privilegierten Gesellschaftsschichten frequentiert
wurde, marschierten wir heimwärts. Oberforstrat Ernst Julius Theodor Salzmann und Oberforstmeister Hermann von Minckwitz könnten bestimmt
viel Interessantes über diese Straße durch den Thüringer Wald berichten - wenn
sie denn noch leben würden.
Hingegen legen in Oberhof Händeabdrücke von noch lebenden Helden
des Sports Zeugnis vom gelungenen Wandel eines herzogtümlichen Luftkurorts zu
einem modernen Wintersportzentrum ab. Es lohnt sich allenthalben, hier mal
vorbeizuschauen. Man kann ein schönes Stück Heimat erleben, auch wenn man in Berlin,
München, Hamburg oder wo auch immer in Deutschland lebt – oder vielleicht
gerade darum.
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