Zwei Lesungen an einem
Abend, nur wenige hundert Meter Luftlinie voneinander entfernt, das ist auch
für eine an kulturellen Angeboten reiche Stadt wie Ingolstadt nicht alltäglich.
Konkurrenz belebt das Geschäft, heißt es. Der Literaturliebhaber muss aber
wählen. Am 10. April gastierte im Festsaal de Stadttheaters der Autor und Kolumnist,
Anwender der „filigranen Komik“ (DONAUKURIER), Axel Hacke. Der Mann ist nach eigener Aussage „gerne auf der
Bühne“. Das kann man ihm nach etwa 1400 bis 1600 Auftritten in 20 Jahren
getrost glauben. Also ein Profi in Sachen Lesen.
Den gleichen Eindruck hinterließ
im Altstadttheater der Wahlschweizer rumänischer Nationalität, Cătălin Dorian Florescu. Als Erstes
fiel auf, dass der 1967 in Temeswar geborene Schriftsteller abhold jedweder
Scheu vor Journalisten und Fotografen ist. Durch seine Anspielungen auf das
stets Verlassen des Vortragsraums nach einigen geschossenen Fotos, gelang es
ihm immerhin, einen Fotografen zum längeren Verweilen zu bewegen – wenn auch
nicht bis zum Schluss.
Cătălin Dorian Florescu |
Um die 40 Besucher der
Lesung hielten aber von Anfang bis Ende durch. Das war insofern nicht schwer,
als der Autor sich alles andere als so präsentierte, wie sein Konkurrent an
diesem Abend, Axel Hacke, den
Protagonisten einer „klassischen deutschen Dichterlesung“ in einem Interview
mit der Lokalzeitung beschreibt: „unlustig und leicht gereizt“ aus seinem Buch
„herablassend schlecht“ vorlesend. Dieser Autor hier vor dem Lesetisch – ein
klassischer Vorleser sitzt hinter dem Tisch – war hellwach und bestens dazu
aufgelegt, den Leser dauernd zu provozieren. Es könnte ja einer einschlafen.
Aber nicht bei dieser
Prosa. Wer da einnickt, dem ist in Sachen Literatur sowieso nicht zu helfen.
Die Moderatorin des Abends, Ramona
Trufin, hat in dem Dialog, der sich zwischen Autor und Organisatorin der
Lesung entwickelte – sie ist Vorsitzende des Rumänischen Freundschaftskreises
Ingolstadt –, ihre Begeisterung für die Bücher Florescus ungeschminkt kundgetan. Und der Frau darf man schon einen
guten Lesegeschmack und ein objektives Werturteil (ein klein bisschen Befangenheit
wollen wir ihr dann doch zugestehen) zutrauen, ist sie doch diplomierte Germanistin
und Übersetzerin.
Bevor der Schriftsteller
aus der Schweiz – tagsüber erst aus Zürich angereist – dann doch zu lesen
begann, setzte er gekonnt zu einem autobiographischen Monolog an,
der dem Auditorium interessante Einblicke in sein Seelenleben und besonders in
seine Arbeitsweise gewährte. Er könne, anders als Herta Müller, viel leichter auch humorvolle Passagen in sein Werk
einfließen lassen, da er die schlimmste Zeit der Diktatur unter Ceauşescu nicht miterlebt habe. Da war
er längst über alle Berge – dank seiner Eltern. Zum Schreibhandwerk erläuterte Florescu, dass er am liebsten im
Kaffeehaus schreibe. Jacob beschließt zu
lieben sei so entstanden. Dieser Roman stehe übrigens für einen Anfang. Mit
ihm sei die Serie der erkennbar autobiographisch geprägten Romane, Wunderzeit (2001), Der kurze Weg nach Hause (2002), Der blinde Masseur (2006) und Zaira
(2008), zu Ende und das Fiktionale habe die Oberhand gewonnen. Das werde voraussichtlich auch in Zukunft so bleiben.
Ob biographisch oder
fiktional ist eigentlich unerheblich bei der schäumenden Fantasie Cătălin Dorian Florescus. Das konnten
die Zuhörer gleich nach Beginn der Lesung feststellen. Wie kommt man auf die
Welt, oder besser gesagt, unter welchen unnatürlichen Umständen kann man auf
die Welt kommen? Das wollte der Autor an diesem Abend seinen Zuhörern verraten.
Und wie er das tat: voller Esprit und manchmal mit vielleicht nicht von
jedermann goutiertem Nachdruck, sprich Wiederholungen, wobei offen blieb, ob
die so im Buch stehen, oder Momenteingaben waren. Die Geburt im Wartesaal eines
rumänischen Bahnhofs – in den 1920er Jahren – gewinnt bei allen skurrilen
äußeren Umständen noch eine erhebliche Priese an humorvoller Groteske durch die
Tatsache, dass sie aus der Sicht des werdenden Erdenmenschen, nämlich Zairas (ein Mädchen), geschildert wird.
Große Literatur.
„Tragik und Komik im
Strudel des Lebens“ nannte C. D.
Florescu seine Handlungsstränge im der Lesung folgenden Gespräch mit dem
Publikum. Beides war so auch in dem Fragment aus Jacob beschließt zu lieben zu spüren. Der Autor sprach
diesbezüglich von magischem Realismus. Darin sind die Rumänen wirklich Meister.
Man denke nur an Mircea Cărtărescu.
Und ein Rumäne ist auch Florescu,
und er will es nach eigenem Bekunden auch bleiben. Na hoffentlich! Die Geburt
eines Buben, auf dem stinkenden und mückenbelagerten Mistwagen, die eigentlich
nur durch das fachmännische Eingreifen Rominas, der Zigeunerin, einem glücklichen
Ende zugeführt wurde, muss einem Autor erst einmal einfallen. Dabei ist die
balkanische Sichtweise bestimmt behilflich. Dass die Nabelschnur dann im
wahrsten Sinne des Wortes vor die Hunde kam, ist nur Teil dieses grandiosen Gesellschaftspanoramas,
bei dem Menschen aus Westeuropa sich verwundert und vielleicht auch genüsslich
die Augen reiben, während Balkanmenschen sie als durchaus nachvollziehbar oder
gar normal empfinden. Dass dieser Junge im Roman ein Banater Schwabe ist,
bleibt völlig unerheblich. Sie waren nun mal dort, diese Banater Schwaben, die
bei genauerer Betrachtung am allerwenigsten Schwaben waren und laut Autor „die
große Geschichte der europäischen Kolonisation geschrieben haben“. Das hätte
natürlich genauso gut ein rumänischer, ungarischer oder serbischer Junge sein
können, der auf diese geruchsintensive Art und Weise zur Welt kam. Ein kleiner
Chinese auf dem Banater Mistwagen wäre bei aller Fiktionalität schlicht und
einfach unglaubwürdig gewesen, auch für Westeuropäer, Amerikaner, Asiaten oder
Afrikaner.
Dass dieser Romanabschnitt
dann doch tragisch, trotz aller absurden Komik, endet, ist dem Verlauf der Geschichte
des 20. Jahrhunderts geschuldet. Romina wird deportiert und die Schwaben
schauen zu. Da war kein Räuspern im Saal mehr zu hören. Wir sind angekommen, in
unserer deutschen Geschichte, oder rumänischen Geschichte. Und das kann echt
weh tun. Aber es generiert auch ein starkes Verlangen nach dem Fortgang dieser
Romanhandlung. Und sie geht noch weiter, über viele hundert Seiten. Das ist
keine deutsche Literatur, keine Schweizer Literatur, keine rumänische
Literatur, keine rumäniendeutsche Literatur - das ist europäische Literatur.
Anton Potche
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