Dienstag, 16. April 2013

Cătălin Dorian Florescu in Ingolstadt


Zwei Lesungen an einem Abend, nur wenige hundert Meter Luftlinie voneinander entfernt, das ist auch für eine an kulturellen Angeboten reiche Stadt wie Ingolstadt nicht alltäglich. Konkurrenz belebt das Geschäft, heißt es. Der Literaturliebhaber muss aber wählen. Am 10. April gastierte im Festsaal de Stadttheaters der Autor und Kolumnist, Anwender der „filigranen Komik“ (DONAUKURIER), Axel Hacke. Der Mann ist nach eigener Aussage „gerne auf der Bühne“. Das kann man ihm nach etwa 1400 bis 1600 Auftritten in 20 Jahren getrost glauben. Also ein Profi in Sachen Lesen.

Den gleichen Eindruck hinterließ im Altstadttheater der Wahlschweizer rumänischer Nationalität, Cătălin Dorian Florescu. Als Erstes fiel auf, dass der 1967 in Temeswar geborene Schriftsteller abhold jedweder Scheu vor Journalisten und Fotografen ist. Durch seine Anspielungen auf das stets Verlassen des Vortragsraums nach einigen geschossenen Fotos, gelang es ihm immerhin, einen Fotografen zum längeren Verweilen zu bewegen – wenn auch nicht bis zum Schluss.

Cătălin Dorian Florescu
Um die 40 Besucher der Lesung hielten aber von Anfang bis Ende durch. Das war insofern nicht schwer, als der Autor sich alles andere als so präsentierte, wie sein Konkurrent an diesem Abend, Axel Hacke, den Protagonisten einer „klassischen deutschen Dichterlesung“ in einem Interview mit der Lokalzeitung beschreibt: „unlustig und leicht gereizt“ aus seinem Buch „herablassend schlecht“ vorlesend. Dieser Autor hier vor dem Lesetisch – ein klassischer Vorleser sitzt hinter dem Tisch – war hellwach und bestens dazu aufgelegt, den Leser dauernd zu provozieren. Es könnte ja einer einschlafen.

Aber nicht bei dieser Prosa. Wer da einnickt, dem ist in Sachen Literatur sowieso nicht zu helfen. Die Moderatorin des Abends, Ramona Trufin, hat in dem Dialog, der sich zwischen Autor und Organisatorin der Lesung entwickelte – sie ist Vorsitzende des Rumänischen Freundschaftskreises Ingolstadt –, ihre Begeisterung für die Bücher Florescus ungeschminkt kundgetan. Und der Frau darf man schon einen guten Lesegeschmack und ein objektives Werturteil (ein klein bisschen Befangenheit wollen wir ihr dann doch zugestehen) zutrauen, ist sie doch diplomierte Germanistin und Übersetzerin.

Bevor der Schriftsteller aus der Schweiz – tagsüber erst aus Zürich angereist – dann doch zu lesen begann, setzte er gekonnt zu einem autobiographischen Monolog an, der dem Auditorium interessante Einblicke in sein Seelenleben und besonders in seine Arbeitsweise gewährte. Er könne, anders als Herta Müller, viel leichter auch humorvolle Passagen in sein Werk einfließen lassen, da er die schlimmste Zeit der Diktatur unter Ceauşescu nicht miterlebt habe. Da war er längst über alle Berge – dank seiner Eltern. Zum Schreibhandwerk erläuterte Florescu, dass er am liebsten im Kaffeehaus schreibe. Jacob beschließt zu lieben sei so entstanden. Dieser Roman stehe übrigens für einen Anfang. Mit ihm sei die Serie der erkennbar autobiographisch geprägten Romane, Wunderzeit (2001), Der kurze Weg nach Hause (2002), Der blinde Masseur (2006) und Zaira (2008), zu Ende und das Fiktionale habe die Oberhand gewonnen. Das werde voraussichtlich auch in Zukunft so bleiben.

Ob biographisch oder fiktional ist eigentlich unerheblich bei der schäumenden Fantasie Cătălin Dorian Florescus. Das konnten die Zuhörer gleich nach Beginn der Lesung feststellen. Wie kommt man auf die Welt, oder besser gesagt, unter welchen unnatürlichen Umständen kann man auf die Welt kommen? Das wollte der Autor an diesem Abend seinen Zuhörern verraten. Und wie er das tat: voller Esprit und manchmal mit vielleicht nicht von jedermann goutiertem Nachdruck, sprich Wiederholungen, wobei offen blieb, ob die so im Buch stehen, oder Momenteingaben waren. Die Geburt im Wartesaal eines rumänischen Bahnhofs – in den 1920er Jahren – gewinnt bei allen skurrilen äußeren Umständen noch eine erhebliche Priese an humorvoller Groteske durch die Tatsache, dass sie aus der Sicht des werdenden Erdenmenschen, nämlich Zairas (ein Mädchen), geschildert wird. Große Literatur.

„Tragik und Komik im Strudel des Lebens“ nannte C. D. Florescu seine Handlungsstränge im der Lesung folgenden Gespräch mit dem Publikum. Beides war so auch in dem Fragment aus Jacob beschließt zu lieben zu spüren. Der Autor sprach diesbezüglich von magischem Realismus. Darin sind die Rumänen wirklich Meister. Man denke nur an Mircea Cărtărescu. Und ein Rumäne ist auch Florescu, und er will es nach eigenem Bekunden auch bleiben. Na hoffentlich! Die Geburt eines Buben, auf dem stinkenden und mückenbelagerten Mistwagen, die eigentlich nur durch das fachmännische Eingreifen Rominas, der Zigeunerin, einem glücklichen Ende zugeführt wurde, muss einem Autor erst einmal einfallen. Dabei ist die balkanische Sichtweise bestimmt behilflich. Dass die Nabelschnur dann im wahrsten Sinne des Wortes vor die Hunde kam, ist nur Teil dieses grandiosen Gesellschaftspanoramas, bei dem Menschen aus Westeuropa sich verwundert und vielleicht auch genüsslich die Augen reiben, während Balkanmenschen sie als durchaus nachvollziehbar oder gar normal empfinden. Dass dieser Junge im Roman ein Banater Schwabe ist, bleibt völlig unerheblich. Sie waren nun mal dort, diese Banater Schwaben, die bei genauerer Betrachtung am allerwenigsten Schwaben waren und laut Autor „die große Geschichte der europäischen Kolonisation geschrieben haben“. Das hätte natürlich genauso gut ein rumänischer, ungarischer oder serbischer Junge sein können, der auf diese geruchsintensive Art und Weise zur Welt kam. Ein kleiner Chinese auf dem Banater Mistwagen wäre bei aller Fiktionalität schlicht und einfach unglaubwürdig gewesen, auch für Westeuropäer, Amerikaner, Asiaten oder Afrikaner.

Dass dieser Romanabschnitt dann doch tragisch, trotz aller absurden Komik, endet, ist dem Verlauf der Geschichte des 20. Jahrhunderts geschuldet. Romina wird deportiert und die Schwaben schauen zu. Da war kein Räuspern im Saal mehr zu hören. Wir sind angekommen, in unserer deutschen Geschichte, oder rumänischen Geschichte. Und das kann echt weh tun. Aber es generiert auch ein starkes Verlangen nach dem Fortgang dieser Romanhandlung. Und sie geht noch weiter, über viele hundert Seiten. Das ist keine deutsche Literatur, keine Schweizer Literatur, keine rumänische Literatur, keine rumäniendeutsche Literatur - das ist europäische Literatur.

Anton Potche

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