Donnerstag, 28. Juni 2012

Ruhmloser Heldentod in der Nazidiktatur


Hans Fallada: Jeder stirbt für sich allein, Roman; Aufbau Verlag, Berlin, 2011; ISBN-10: 3351033494; ISBN-13: 978-3351033491; 704 Seiten; Neupreis bei Amazon: € 19,95.

Als Manfred Brauneck im Jahre 1991 die vierte überarbeitete und erweiterte Neuausgabe des Autorenlexikons deutschsprachiger Literatur des 20. Jahrhunderts bei Rowohlt herausbrachte, bedankte er sich bei 87 Mitarbeitern und dem Institut für Germanistik an der Universität für Bildungswissenschaften in Klagenfurt. Keinem dieser Damen und Herren, fast alle Doktoren und Professoren, wäre damals der Gedanke gekommen, den Roman Jeder stirbt für sich allein als Hans Falladas bekanntestes Werk anzuführen. In der biografischen Notiz zu Fallada, Hans (eig. Rudolf Ditzen) *21.7.1893 Greifswald, †5.2.1947 Berlin  heißt es dem damaligen Stand der Dinge gemäß: „Sein größter Erfolg wurde der in mehr als 20 Sprachen übersetzte, zweimal verfilmte und 1972 durch die Revue von T. Dorst und P. Zadek auch für das Theater erfolgreich bearbeitete Roman Kleiner Mann, was nun?.

Der Roman Jeder stirbt für sich allein wird in der Bibliografie als eines der vielen Werke Hans Falladas erwähnt. Und es war 1991 tatsächlich auch nicht absehbar, dass dieses Buch 19 Jahre später und sogar 63 nach seinem Erscheinen – es war Falladas letztes Werk – die Bestsellerlisten stürmen werde. Das geschah via eines erfolgreichen Umwegs über Frankreich, die USA, Großbritannien und Israel. 
Der Roman erzählt vom Widerstand im Dritten Reich. Doch ist es nicht das organisierte Auflehnen gegen das Naziregime, sondern meistens das stille Aufbegehren Einzelner, Menschen wie du und ich, aus einfachen Verhältnissen kommend und nur in bescheidenen Maßen oder gar nicht politisch engagiert. Sie hatten aber das Pech, in einer der schlimmsten Diktaturen der Geschichte zu leben, und das sogar im politischen Zentrum des Bösen: in Berlin.
Fallada hatte ein ganz besonderes Gespür für die Denkweisen der einfachen Menschen. Der Weg der Quangels, des Otto und der Anna, führt durch viele Alltagsgeschichten von der Teilnahmslosigkeit über das persönliche Betroffensein in den Widerstand. So entstand eine beeindruckende und gleichsam bedrückende Milieuschilderung, die den heute lebenden Generationen das Gegenteil von dem zeigt, was uns Propagandafilme aus jener Zeit vermitteln. Die Fratze des Bösen ist uns von den Bildern aus den Konzentrationslagern dank der Alliierten bekannt.  Was sich aber in den Kellern der Gestapo abspielte, wird uns bloß mittels literarischer Fiktion jemals begreifbar sein.
Wie ein Gefängnis von innen aussah, wusste der Autor aus eigener Erfahrung. Als Dreißigjähriger verbüßte er selbst eine Haftstrafe. Da war die Gestapo aber noch weit. Ihre Gefängnisse sollten die Hölle auf Erden werden. Fallada beschreibt eindringlich, oft schonungslos den langsamen Prozess der Entwürdigung zum Tode verurteilter Häftlinge. Er lässt den Präsidenten des Volksgerichtshofes, Feisler (vom echten unterscheidet ihn nur ein unterschlagenes „r“), in der Richterrobe auftreten, um zu zeigen, dass ein so niederträchtiges, menschenverachtendes System wie das der Nazis ohne willfährige Justiz gar nicht möglich war. Das gilt natürlich auch heute noch in vielen diktatorischen Regimes.
Der Autor zeigt aber auch, dass selbst in der schlimmsten Zeit der Hitlerdiktatur die Menschlichkeit nicht endgültig ausgemerzt werden konnte. Es sind die kleinen Gesten – beim alten Kammergerichtsrat Fromm zum Schluss ins Heroische hochstilisiert -, die ein Bild der Humanität unter der braunen Bestialität, die das Land überzogen hatte, sichtbar macht.
Man hofft als Leser ja meist bis zum Schluss auf ein Wunder. Hans Fallada kannte aber kein Erbarmen. Der Titel des Romans, nimmt das Ende der Hauptgestalten vorweg. Es konnte auch gar nicht anders sein, wo doch das Lexikon festhält: „Seine Romane sind mehr soziale Reportage: kritische realistische Gesellschaftsromane, die geniale Beobachtungsgabe und detaillierte Kenntnis der äußeren Situation mit Vertrautheit der emotionalen und geistigen Disposition und Sehweise der Betroffenen verbindet.“

Anton Potche

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