Mittwoch, 12. Januar 2011

Partygespräche

Es kam in dieser kleinen Runde, guter rumänischer Doppeltgebrannter wurde auch serviert, wieder mal viel auf den Tisch: Politik, Gewerkschaft, Arbeit - fast alle männlichen Protagonisten arbeiten in derselben Firma -, alte Zeiten und, wie bei Rumäniendeutschen nicht selten in Wintermonaten, die Revolution.

Da saßen Leute mit am Tisch, die damals noch "unten" waren und die Ereignisse in verschiedenster Art und Weise miterlebt haben: die Frau, die voller Angst in Temeswar den Weg von der Fabrik zum Bahnhof zurücklegte; der Mann, der in einer Temeswarer Einheit seinen Militärdienst ableistete - "Die Einheimischen bekamen keine scharfe Munition, nur die Soldaten von weiter her." -, das Mädchen mit seinen nicht vergessenen Sorgen um den Freund in einer Kaserne der nahen Kreisstad; der Jugendliche, der nach der Christmette seine Freundin nach Hause brachte und wieder zurückkehrte, um unter der "Führung" eines geistige Kapriolen schlagenden Kirchenratsmitglieds - er habe als "cuţitar", das ist wohl ein qualifizierter Gurgelabschneider, in der rumänischen Armee gedient und schon damals den Auftrag bekommen, Ceauşescu aus dem Weg zu räumen, Auftrag, der dann doch nicht zur Ausführung kam - die Heilige Nacht in der Sakristei beim Kartenspielen zusammen mit Kammeraden verbrachte, um die Kirche vor einem eventuellen Terroristenangriff zu schützen; und, und, und.

Ich kam mir dabei mit meiner kleinlaut vorgebrachten Demonstrationsteilnahme auf dem Münchner Odeons-Platz vor wie einer, der nach dem Regen mit dem Schirm herumläuft.

Revolutionen machen Menschen verrückt, bringen sie ganz durcheinender, stören ihre Wahrnehmung, generieren absurde Reflexe usw. Dazu gehört auch der Glaube an Verschwörungstheorien, die nach solchen seelisch belastenden Ereignissen gewöhnlich ihre Kreise ziehen - oft Jahre oder gar Jahrzehnte danach. Spontan fallen mir hier Streitgespräche unter Arbeitskollegen auf, die klären sollten, ob Armstrong wirklich auf dem Mond war oder ob der 21. September gar eine amerikanische Machenschaft gewesen sein könnte.

So war ich nicht allzusehr überrascht, als bei obigen Partygesprächen auch die Theorie verteidigt wurde, die rumänische Revolution wäre von langer russischer & amerikanischer Hand vorbereitet gewesen. Diese Verschwörungsgeschichten wurden besonders von den damals unmittelbar Betroffenen als plausibel eingestuft, während ich als Außenstehender nach wie vor von einer spontanen Volksbewegung ausgehe. Die Verschwörungsanhänger stützten sich in ihren Argumentationen vorwiegend auf einen bereits im Jahre 2003 produzierten Dokumentarfilm: Schachmatt - Strategie einer Revolution oder Fallstudie amerikanischer Politik.

Die Frauen und Männer, die damals noch "unten" waren, sollten sich diese Revolution nicht nehmen lassen.Es war ihre Revolution, unabhängig davon, wie sie sie erlebt haben. Es war ihre Angst, Ungewissheit, Hoffnung, aber auch ihre Aufbruchstimmung, und wenn es nur die zum endlich Auswandern war. Sogar der aufgedrehte Messerheld hat ein Recht auf "seine" Revolution.

Dieser Film gibt ein hervorragendes Beispiel für die Konstruktion von Verschwörungstheorien ab. Nichts, aber auch gar nichts deutet in dieser Dokumentation auf einen von außen oder innen gesteuerten Sturz des Diktators hin. Das sind alles nur Vermutungen, Deutungen, Erklärungsversuche, oft sehr klägliche, um den damaligen Ereignissen jedwelche Spontaneität abzusprechen. Nicht von Ungefähr betont Charles Cogan, 1989 CIA-Chef in Paris, in dem Film: "Ich spreche natürlich rein theoretisch."

Dass Dinge passiert sind, die nie aufgeklärt wurden, gehört zum Charakter einer Revolution. Für eine begrenzte Zeit werden alle Gesetzmäßigkeiten außer Kraft gesetzt. Es herrscht Anarchie, das blanke Chaos. Rumänische Bürger aus dem Dorf sind morgens mit dem Ansinnen "facem democraţie - wir machen Demokratie" in die Stadt, den Revolutionsherd, gefahren und abends frohgemut zurückgekommen, um gleich in der Dorfkneipe den Revolutionseinsatz für den nächsten Tag zu planen.

Auch das allgemein gerne vorgebrachte Argument, der Auslösemoment wäre von fremden Geheimdiensten gesteuert worden und hätte so die Revolution erst ermöglicht, entbehrt jeder Grundlage. Im Gegenteil. Der Temeswarer Schriftsteller Daniel Vighi bekräftigt in einem Interview mit der BANATER ZEITUNG aus Temeswar (15.12.2010): "Es war spontan. Diejenigen, die anfangs protestiert haben, waren Mitglieder der Theatergruppe des Studentenkulturhauses, mit denen Tökés zusammenarbeitete."

Man war dort, in dem Land, dem einzigen in Europa, in dem eine Revolution noch nach altem Muster ablief, mit Toten und Verletzten. Ob als Klawerjas spielender Antiterrorwächter, ob als sorgende Mutter, ob als bangende Freundin, ob als verunsicherter Soldat oder wie auch immer, man war Teil dieser Zeit und sollte sie nicht von Szennarienschreibern und Filmemachern vereinnahmen lassen.

Das hat nichts mit falschem Stolz, Angeberei oder gar ungerechtfertigten Teilnehmeransprüchen zu tun. Es ist nur der Ausdruck eines gesunden Selbstbewusstseins. Was im Dezember 1989 in Rumänien stattfand, war ein echter Volksaufstand. Die katastrophale Versorgungslage im Land hat den Funken von Temeswar zu einer Riesenflamme entfacht. Daher wäre es gut, wenn alle Verschwörungstheoretiker erst mal dem Rat des damaligen CIA-Chefs für Osteuropa, Milton Bearden, folgen würden: "Ich will nicht sagen, dass das alles Unsinn ist, aber ich schlage vor, dass Sie da mit Vorsicht vorgehen."
Anton Potche

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