Donnerstag, 19. August 2010

Kiebitz bei den Richard-Wagner-Festspielen - Folge 4

 "Seit jeher ausgespart ist aus Platzmangel die gesamte Wirkungsgeschichte, vor allem die Wagner-Rezeption im Dritten Reich und die Beziehung zwischen Hiltler, Bayreuth und der Familie. [...] Ich will Leben in der Bude haben und auch weiterhin den Saal für unsere beliebten Festspiel-Soireen und andere Veranstaltungen nutzen. [...] Darüber hinaus ist mir persönlich wichtig, dass wir unseren Bildungs- und Vermittlungsauftrag wahrnehmen und die beträchlichste Rezeptions- und Wirkungsgeschichte, die ein deutscher Künstler je ausgelöst hat, angemessen darstellen können." So weit Dr. Sven Friedrich, seines Zeichens Museums- und Archivleiter des Wagner-Museums im Hause Wahnfried, Richard Wagners einstigem Wohnhaus, in einem Interview mit dem Ingolstädter DONAUKURIER.

Es geht in dem noch druckfrischen Interview zwar vorwiegend um eine Restaurierung und Erweiterung dieser bayreuther Kulturinstitution, wir können aber schon aus diesen wenigen Sätzen erkennen, dass es beim Phänomen Wagner immer auch um Geschichte, Politik (Stadt, Land, Bund) und nicht zuletzt um dynastische Ansprüche geht. Festspielzeit heißt nicht nur Oper auf dem Grünen Hügel mit all ihrem in die ganze Welt ausstrahlenden Glanz, sondern auch Musik im Hause Wahnfried. In schlichter Programmsprache heißt das dann so: "19:30 Uhr - Haus Wahnfried, Richard-Wagner-Str. 48, Festspiel-Soiree, Liederabend mit E. Crossley-Mercer (Bariton) und Semion Skigin (Klavier), Franz Schubert: Winterreise".

Diesen "Bildungs- und Vermittlungsauftrag" verspüren in Bayreuth auch andere. Zum Wohle der Musik und Erbauung des Publikums, darf man ruhig sagen. Denn was hier zur Festspielzeit an Parallellprogrammen angeboten wird, ist mehr als bemerkenswert, für Klassikfans schlicht und einfach beneidenswert. Es gibt weltweit nur acht klassische Klavierwerkstätten. Die Klaviermanufaktur Steingraeber & Söhne gehört dazu. Und sie produziert seit 1852 mitten in Bayreuth. Seit wann im Steingraeber-Haus auch musiziert wird, weiß ich nicht. Auf jeden Fall gibt es dort einen Kammermusiksaal und dort gastieren weltberühmte (wenn auch nur für Klassikliebhaber) Musiker. So kann man in einem der zahlreichen Programmhefte, die man im Sommer auf Schritt und Tritt in Bayreuth findet, lesen: "Der amerikanische Pianist Eric Himy konzertiert in fünf Kontinenten, von der Carnegie Hall bis hin zum Opernhaus Manaus. [...] Sein Abstecher am 24. August in die Wagner-Stadt ist ein echtes Festspielzeit-Event im Steingraeber-Haus."

Man könnte so noch lange fortfahren, ohne das einem die Veranstaltungen ausgehen würden. Das Festival junger Künstler sollte aber auf jeden Fall eine Erwähnung wert sein. Es findet seit 60 Jahren statt - für einen fast Sechzigjährigen eine gefühlte Ewigkeit. Hier kommen junge Musiker aus allen Herren Ländern zusammen, proben und musizieren in den verschiedensten Zusammensetzungen. Zurzeit weilen in Bayreuth 500 junge Musiker aus 38 Nationen. Und man höre und staune: "Das Festival junger Künstler kann am 24. und 25. August tatsächlich eine Uraufführung anbieten: Eine Kapitulation - Lustspiel in antiker Manier nach Richard Wagner in einer Bearbeitung von Georgios Kapoglou und Kristin Päckert." (BAYREUTH AKTUELL - Veranstaltungs-Magazin).

Und dann gehst du am Samstagmorgen mit deiner Frau in die Altstadt einkaufen und betrittst kurz vor Elf eine Einkaufspassage. Ein Plakat: Kunst in der Passage - "Saxophon klassisch" - u.a Grieg, Schostakowitsch, Tüür - Saxophonquartett Signum. Vier Augen, ein Blick, Uhrenabgleich, Treffzeit, Küsschen. Sie ist weg, kommt nach 45 Minuten zurück und findet einen glücklichen, gut gelaunten Ehemann. Die Quelle seines euphorischen Zustandes ... Möge sie nie versiegen. Auch das ist Bayreuth zur Festspielzeit.

Fotos und Video: Anton Potche

Am 21. August 2010 wird die Oper Die Walküre live aus dem Festspielhaus auf den Bayreuther Volksfestplatz übertragen. Um 16:00 Uhr geht's los. Die Siemens AG bietet die Aufführung auch als Live-Stream im Internet an.
Anton Potche

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